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Ungewöhnlicher Utopist

Die Ideen, auf denen die Digitalwährung Bitcoin basiert, erschienen 2009 scheinbar aus dem Nichts. Doch Schriftsteller erdachten das Konzept ansatzweise bereits zuvor. Dennoch wurde ein anderer Wegbereiter zum ungewöhnlichen Star der Szene: Friedrich August von Hayek.

Zumeist sind kreative Schriftsteller oder Filmregisseure ja die Erdenker von Utopien. Auch in Sachen Bitcoin, Blockchain und virtuelle Währungen gibt es einige wenige, die das Konzept in Ansätzen lange vor Bitcoin-Begründer Satoshi Nakamoto erdachten. Ein bekanntes Beispiel ist der Roman „Cryptonomicon“ von Neal Stephenson, in dem in einer fernen Zukunft anonymes Internetbanking, elektronisches Geld sowie eine auf Gold beruhende digitale Währung existieren. Auch der Science-Fiction-Autor Charles Stross näherte sich Bitcoin und der Blockchain-Technologie in seinem 2005 publizierten Roman „Accelerando“ an, indem er Konzepte wie „Economics 2.0“ sowie „distributed self-managing companies“ beschrieb. Auch in sein 2013 erschienenes Werk „Neptune’s Brood“ integrierte Stross eine virtuelle Währung namens „slow money“, die sich zwischen Sternsystemen reibungslos hin und her transferieren lässt.

Besonders Stross schien der Konnex zur Bitcoin-Szene kaum zu gefallen. In einem Blogeintrag mit dem Titel „Why I want Bitcoin to die in a fire“ rechnet der Schriftsteller mit dem digitalen Geld ab. Stross nutzt klassische Gegenargumente wie hohe Stromkosten, die (angeblich) deflationäre Konzeption der Währung sowie ihre Nutzung für kriminelle Aktivitäten. Die Community wischte die Attacke des Autors etwas trotzig weg – und löschte Stross aus dem kollektiven Gedächtnis.

Ökonomen als Vorreiter

Doch Utopisten müssen nicht in der Science-Fiction-Welt suchen, um hinsichtlich Kryptowährungen fündig zu werden. Dann und wann scheint die Vorstellungskraft von Ökonomen schneller als die von Schriftstellern und Künstlern zu sein. Bitcoin-Enthusiasten lehnen sich in Sachen Vorreitertum heutzutage nämlich lieber an einen Österreicher an – Friedrich August von Hayek. Der Ökonom gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, indem er in der Zeit der „Großen Depression“ der 1930er-Jahre die wohl schärfste wirtschaftspolitische Gegenposition zu John Maynard Keynes formulierte. Größter Streitpunkt waren staatliche Eingriffe in den Markt in Krisenzeiten.

Verkürzt gesagt traute Hayek dem Markt nach Krisen eine Selbstkorrektur zu, während Keynes den Staat in der Pflicht sah, über verschiedene wirtschaftspolitische Mechanismen unterstützend einzugreifen. Keynes setzte sich zwar durch, die Ideen von Hayek sind aber weiterhin in den Köpfen vieler Menschen präsent. Dass Hayek und die Österreichische Schule in ihrer Lehre zudem das Individuum auf die höchste Stufe stellten und Eigenverantwortung großschrieben, gefällt Anhängern von dezentralisierten Kryptowährungen natürlich besonders. So sagte etwa auch Bitcoin-Pionier Charlie Shrem im Forbes-Interview über sich, ein „Austrian economist“ zu sein. Die Österreichische Schule war einer der Gründe, warum das Gründungstreffen der Bitcoin Foundation, dem auch Shrem beiwohnte, in Wien stattfand.

Die Geschichte des staatlichen Umgangs mit Geld ist, mit Ausnahme einiger kurzer glücklicher Perioden, eine Geschichte von unablässigem Lug und Trug.

(Friedrich August von Hayek)

Hayek formuliert einen großen Teil der für Bitcoin relevanten Ideen 1976 erstmalig in dem Werk „The Denationalization of Money“ („Die Entnationalisierung des Geldes“). Darin formuliert der Ökonom seine Vorstellungen über ein Geldsystem, das nicht eine große Anzahl nationaler Währungen beinhalten würde, sondern einige wenige private Währungen, die miteinander um Akzeptanz konkurrieren. Denn Hayek sah die Zentralbanken aus politischen Gründen nicht in der Lage, Währungsstabilität zu gewährleisten. Als Kind einer Zeit, in der Deutschland eine nahezu beispiellose Hyperinflation erlebte, die vor allem auch von einer Ausweitung der Geldmenge der Zentralbank verursacht wurde, ist das nicht verwunderlich. Hayek glaubte, auf dem freien Markt (dem er überhaupt ziemlich viel zutraute) würde sich jene Währung durchsetzen, die die größte Stabilität gewährleisten könnte.

Dass sich Bitcoin im Rahmen von Preisexplosionen und der Abspaltung von Bitcoin Cash eher nicht durch Stabilität auszeichnet, scheint die Szene weniger zu interessieren. Denn die Beliebtheit von Hayeks Ideen, welche dieser bereits vor 40 Jahren zu Papier brachte, ist ungebrochen.

Aufwind in der Öffentlichkeit erhielten Hayeks Meinungen übrigens auch in der Finanzkrise 2008, in der die Rettung zahlreicher Banken durch Regierungen heftige Kritik ertragen musste. Diese Aktion war durch und durch in der keynesianischen Tradition, Hayeks Lehren hingegen hätten geraten, insolvente Finanzinstitute bankrottgehen zu lassen.

Und auch Bitcoin entstand 2009 – auf dem Höhepunkt der Krise – als Antwort auf die zahlreichen Verfehlungen, die das moderne Geldsystem machte. So schreibt auch die Europäische Zentralbank, dass die Ursprünge von Bitcoin in der Österreichischen Schule liegen.

If we want free enterprise and a market economy to survive (as even the supporters of a so-called ‚mixed economy‘ presumably also wish), we have no choice but to replace the governmental currency monopoly and national currency systems by free competition.

(Friedrich August von Hayek)

Ob es irgendwann wirklich zu einem weltumspannenden Wettkampf der Währungen kommen wird, steht in den Sternen. Doch zumindest beweist die Freude von Bitcoin-Anhängern an den Ansätzen der Österreichischen Schule, dass Utopien nicht immer aus der Literatur kommen müssen. Es scheint nämlich, als hätte sich die Kryptoszene ausgerechnet einen Ökonomen aus dem 20. Jahrhundert als „Posterboy“ ausgesucht. Da der 1992 verstorbene Hayek Bitcoin in seinem ökonomischen Design vermutlich hochinteressant gefunden hätte, ist er als solcher wohl auch deutlich besser geeignet als Science-Fiction-Autoren, die die Kryptowährung brennen sehen wollen

Illustration: Valentin Berger

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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