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Siri träumt von elektrischen Schafen, aber „nur manchmal“. Googles Deepdream halluziniert bunt vor sich hin – und auch Blade Runner Harrison Ford hat unruhige Nächte.
„Zuerst ist da ein Busunglück. Dann bin ich in einem Hotel. Dann bin ich in so einer Art Eisstation (‚in such an ice station’). Und dann bin ich verwirrt“.
Das ist die ausführlichste Antwort, die Siri parat hat, wenn man sie fragt, was sie letzte Nacht geträumt hat. Natürlich, so werden wir schnell schließen, handelt es sich nur um eine Simulation, ein von Menschen projiziertes Bild von einem Traum, das ihr einprogrammiert wurde. Aber warum sind wir uns da eigentlich so sicher? Und vor allem: Wie lange noch?
Im Haifischbecken Traumdiskurs tummeln sich freilich zahlreiche philosophische, metaphysische, neuro- und computerwissenschaftliche Perspektiven - wir aber wollen unser Heil zunächst in der Kunst suchen. Die taugt ja meistens als guter Ratgeber – in diesem Fall vor allem die Science Fiction-Literatur Philip K. Dicks, der schon mit seiner im Jahr 1968 publizierten Novelle fragte: „Do Androids Dream of Electric Sheep?“. Der Text lieferte die vielzitierte Vorlage für den Film „Blade Runner“, der im Los Angeles einer „fernen Zukunft“ (wie die Zeit vergeht: 2019) spielt, in der die Tyrell Corporation unter dem Motto "More human than human" menschliche Replikanten herstellt. In dem Film gibt es, zumindest in der „endgültigen“ Version, diese schöne Szene, die Millionen Filmfans bis heute diskutieren.
Träumt Inspektor Rick Deckard, oder handelt es sich nur um eine Vision, einen Tagtraum, oder eine Halluzination? Wir wissen es nicht. Das Einhorn jedenfalls, das ihm erscheint – und da beginnt es, spannend zu werden – taucht am Ende des Films wieder auf. Diesmal allerdings in Form eines Origamis, das ein gewisser Charakter namens Gaff, ebenfalls ein Blade Runner, seinem abtrünnig gewordenen Kollegen Deckard in der Wohnung hinterlässt.
Handelt es sich also um einen Hinweis Gaffs, dass er von dem Einhorn-Traum weiß? Aber woher? Eine Deutung liegt nahe: Er hat Zugang zu den künstlichen Träumen und Erinnerungen, die den Replikanten eingepflanzt werden. Deckard selbst wäre somit ein Android. Auch Gaffs Abschlussworte, bezogen auf Deckards Replikanten-Geliebte Rachel, die aus dem Off hallen, ließen sich in diese Richtung deuten. „Too bad she won’t live, but then again, who does?“
Szenen aus der Kindheit, Traumbilder, die eigenen Eltern: alles nur künstliche Implantate. „Alternative Facts“, quasi. Doch der Replikant ist kein einfacher Eingabe-Ausgabe-Mechanismus wie Siri. Vielmehr baut seine Realität auf den Erinnerungsdaten auf, mit denen er programmiert wurde. Diese sind so lebensecht, dass der Replikant – wie in Rachels (oder Deckards?) Fall – nicht einmal weiß, was er wirklich erlebt hat und was nicht. Im Sequel “2049” lernen wir mehr über die Entstehung der Daten, sie werden von einem Charakter namens Dr. Ana Stelline mit Hilfe einer Erinnerungskugel, ähnlich einer Kameralinse, erstellt und gestaltet.
Der eigentliche Trick des Films: Wir Zuschauer sind nicht wirklich schlauer, mit welcher Art Lebensform wir es gerade zu tun haben, sodass auch wir alle Handlungen unterbewusst auf ihr Menschsein zu überprüfen beginnen. Die Grenze zwischen menschlichem und künstlichem Leben verschwimmt und mehr noch: Der eigentliche Bösewicht Roy Batty, ein Replikant, stirbt in Blade Runner am Ende den Heldentod – taugt also gar nicht als Prototyp des terminatorähnlichen Bösen.
Was uns zum Kern der ganzen Geschichte bringt: Sind die (träumenden) Maschinen doch die besseren Menschen? Oder ist es gar erst das Träumen, dass sie menschlicher macht?
Zurück auf den harten Boden der Realität, zurück ins Jahr 2018. Die Replikanten unserer Zeit, das sind die künstlichen Intelligenzen, die Sprachen übersetzen, eigenständig Regale einräumen und uns im Schach, oder Go an die Wand spielen. Wir nähern uns langsam einem Bereich an, in dem alle ehemals menschliche Domänen künstlich nachgebildet werden können. So auch das Träumen? Zuletzt fragte Werner Herzog „does the internet dream of itself?“.
Ein erstes Mal geisterten träumende Maschinen im Jahr 2015 durch das Internet. Es handelte sich um halluzinogen anmutende Bilder, welche durch das neuronale Netzwerk „DeepDream“ zum Leben erweckt wurden. DeepDream ist (natürlich) eine Kreation von Google. Mit dem eingängigen Namen des Programms, der Verschlagwortung „Inceptionism“ und einem Open Source-Ansatz landete man sogleich einen, zahlreich in den Populärmedien aufgegriffenen, Hit - bis man das Angebot an die User, selber Bilder hochzuladen, wieder entfernte (hier Vergleichbares).
Deepdream erkennt automatisiert Muster in Bildern, um sie eigenständig zu klassifizieren. Dabei geht es in Ebenen vor, die immer tiefer Informationen über das Bild extrahieren und untereinander weitergeben, bis der „output layer“ erreicht ist und eine „Antwort“ ausspuckt. Der Input also verändert sich eigenständig von Ebene zu Ebene, die Maschine macht etwas mit dem Bild, anstatt die Eingabe – wie Siri – einfach nur nachzuplappern. Auch über ein simples „Ja“, oder Nein“ geht der Versuch hinaus, denn DeepDream ermöglichte es Google, besser zu verstehen (oder gar: sichtbar zu machen), was im Inneren eines künstlichen neuronalen Netzwerks vorgeht.
Dafür „trainierten“ die Entwickler die Maschine mit Bildern von Tieren, um sie dann mit einem – vorher noch nie gesehenen – Bild von einem wolkenverhangenen Himmel zu konfrontieren. Die daraus entstehende Spannung nutzten sie mit dem Auftrag: “Whatever you see there, I want more of it!”. Die Maschine suchte daraufhin nach ihr bekannten Mustern – sprich, erkannte sie in der Struktur einer Wolke einen Vogel, formten die Netzwerkebenen das Bild mehr und mehr zu eben diesem; die Maschine kommt ins “Träumen” und wir sehen ihr dabei zu.
Bleiben wir bei Google, wenn man so will, der Tyrell Corporation unserer Zeit. Ende 2016 ließ das hauseigene K.I.-Unternehmen DeepMind, in dessen Rahmen auch Deepdream entstand, eine weitere Testreihe folgen, in der es abermals träumerisch zugeht. Diesmal ließ man die Maschinen (hier „Agenten“ genannt) ein altes Atari Spiel namens „Labyrinth“ daddeln, in dem sie durch verzweigte Gänge navigieren mussten, um Melonen und Äpfel zu sammeln.
In der Studie über das UNsupervised REinforcement and Auxiliary Learning, kurz UNREAL, heißt es dazu:
„To learn more efficiently, our agents use an experience replay mechanism […]. Just as animals dream about positively or negatively rewarding events more frequently, our agents replay sequences containing rewarding events.“
Der „experience replay mechanism“ baut auf der Theorie auf, dass das Träumen eine aktive Rolle spielt, wenn es um die Organisation und Vertiefung von Erinnerungen geht. Um den Lernprozess zu vertiefen, spielt die selbstlernende Maschine das Erlebte noch einmal durch – allerdings mit dem Fokus auf signifikante Erlebnisse (beispielsweise Belohnungen). Durch diese Vorgänge bringt sich der Agent die Dinge, wie ein Mensch, selber bei. Anscheinend mit Erfolg: Laut Google erreicht er 87% der menschlichen Leistung.
Zusammengefasst könnte man meinen, bei den ersten traumähnlichen Prozessen der Maschinen handelt es sich um eine win-win-win-Situation: Die Maschine lernt dazu, wir lernen mehr über die Maschine – und schließlich auch noch mehr über das Träumen an sich. Fragt sich nur, ob es so erstrebenswert ist, dieses letzte Stückchen Menschsein das wir noch nicht besetzt - um nicht zu sagen: pervertiert – haben, auch noch zu „entschlüsseln“? Wenn wir Fähigkeiten im Traum verbessern lernen, wird dann im nächsten Schritt auch noch unser Schlafen auf Leistung getrimmt?
Es ließen sich wahrscheinlich tausende, weitere Fragen anschließen, auf die wir noch keine Antworten wissen. Auch die grundsätzliche Frage nach dem Warum (Verarbeitung des Erlebten, sexuelle Triebkräfte, Regeneration usw.) steht noch im Raum. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Es sieht jedenfalls so aus, als würde es nicht mehr lange dauern, bis uns Siri wirklich von ihren Träumen erzählt.
Autor: Clemens Gatzmaga