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Total Sozial

Soziale Ungleichheit ist nicht nur in modernen Gesellschaften ein heißes Thema. Vorboten gab es in der Fiktion schon früh. Doch wie sollten wir damit umgehen?

Alles war gewaltig. Die aufwendigen Dreharbeiten, die imposanten Kulissen, die Drehkosten von – damals unglaublichen – rund fünf Millionen Reichsmark. Dazu die technologischen Innovationen von in den Himmeln ragenden Riesentürmen, Roboterwesen, die sich in Frauen verwandeln und noch nie da gewesenen Einbahnschienen. Fritz Langs Meisterwerk „Metropolis“ (1927)  ist bis heute ein regelmäßig zitierter Filmklassiker. 2001 wurde die damals vollständigste restaurierte Fassung ins UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen.

Die Gesellschaftsordnung der futuristischen Großstadt mutet dystopisch an: Sie ist komplett zweigeteilt. Die Oberschicht genießt ihren Luxus, in Türmen und „Ewigen Gärten“ wird ein frivoles, paradiesisches Leben geführt. Möglich macht dies die Arbeiterschicht, die sich an Maschinen unter der Erde abrackert und für den Reichtum der „Oberen“ sorgt. Sozialer Aufstieg? Unmöglich. Die Wohnstrukturen runden dieses Bild ab: Die Oberschicht wohnt oberhalb, die Arbeiterschicht unterhalb der Erde. Die marxistische Sicht auf den Kapitalismus und die historischen Umwälzungen der Periode, in der der Film entstand, ist dabei kaum zu übersehen.

Was den Plot umso interessanter für die heutige Diskussion macht, ist die Frage des sozialen Aufstieges oder besser: der sozialen Mobilität. Denn diese ist heutzutage präsenter denn je. Das Gefühl in den unteren sozialen Schichten zu bleiben, es nicht nach „oben“ zu schaffen – ganz egal, wie sehr man sich anstrengt, wie gut die Leistung im Job ist: Es kann lähmend sein. Auch auf breiter gesellschaftlicher Ebene kann dies rasch als ungerecht empfunden werden. Umgekehrt sind auch soziale Abstiege nur schwer zu verdauen, vor allem, wenn man in den unteren Einkommensklassen verbleibt. In einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft wäre dies eigentlich als natürlicher Prozess zu tolerieren. Doch die viel gepredigte Chancengleichheit verliert vollends an Glanz, wenn sie anhand von äußeren Faktoren einzementiert wird. Wenn diese über Erfolg und Misserfolg entscheiden, und zwar möglicherweise von einem selbst, dem gesamten Haushalt, seinen Kindern.

Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Soziologen und Ökonomen mit dem Phänomen der sozialen Mobilität (etwa bereits Pitirim Sorokin, also der Veränderung des sozialen Status einer Person oder eines Haushaltes über die Zeit. Global gesehen ist ein klarer Trend erkennbar. Statistiken, etwa aus Deutschland, belegen dies: Vor allem die unteren Einkommensschichten kommen nicht so recht vom Fleck, sprich die Aufstiegs­chancen werden geringer. Die Abstände zwischen den sozialen Schichten vergrößern sich – seit Jahren. Bereits 2011 schrieb der Sachverständigenrat für Wirtschaft in Deutschland, dass die Durchlässigkeit im Zeitverlauf abgenommen hat. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) errechnete für den Zeitraum 2005 bis 2011, dass knapp drei Viertel der Personen der ersten Einkommensschicht auch ein Jahr später noch in dieser verweilen. Entwicklungen, die sich auch im Jahr 2017 nicht groß geändert haben: Noch immer unterstreicht der Sachverständigenrat: „[Es] spricht vieles dafür, ein stärkeres Gewicht auf Beschäftigung und Aufstiegschancen statt auf Umverteilung zu legen, um Teilhabe und Wohlstand zu sichern.“ An anderer Stelle: „Eine wesentliche Herausforderung für die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik liegt in der Einkommensmobilität.“

Diese Aussagen zeigen zweierlei: erstens, dass Wohlstand durch eine funktionierende soziale Mobilität nach oben – neben einer Ankurbelung der Beschäftigung – erreicht werden kann. Zweitens, dass soziale ­Mobilität oftmals anhand der Einkommensposition gemessen wird. „Dabei kann der soziale Status am Einkommen einer Person oder eines Haushalts, am erreichten Bildungsabschluss, am erreichten Beruf oder einer Kombination aus verschiedenen Dimensionen festgemacht werden“, wie Daniel Schnitzlein, Research Associate am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) und Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Leibniz Universität Hannover, erklärt. Seine Fachgebiete sind Bildungsökonomik, Arbeitsmarktforschung sowie Bevölkerungsökonomik. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Zeitdimension: So differenziert man zwischen intragenerationaler Mobilität (innerhalb einer Generation – etwa anhand einer Erwerbskarriere) und intergenerationaler zwischen Eltern und Kindern.

Auch in anderen Ländern ist die soziale Mobilität schwach ausgeprägt: Für Österreich belegt eine OECD-Studie aus dem Jahr 2014, dass es nur in zwei Ländern schwerer sei, „nach oben zu kommen“ – just Deutschland und Tschechien. Sie zielt dabei besonders auf den Faktor Bildung ab. Das Fazit: Der familiäre Background hat einen großen Einfluss auf Bildungschancen der Kinder, die Akademikerrate ist nach wie vor gering. Erbschaften spielen bei dieser Thematik ebenfalls eine Rolle, durch sie kann es besser gelingen, aufzusteigen, als nur mit bloßem Einkommen (Studie Österreichische Nationalbank, 2015).

In den USA ist die Vision des „American Dream“ ­bereits seit Längerem am Schwinden: Der Glaube, dass es ohne Herkunft, Erbe oder Netzwerke funktioniert, zieht nicht mehr richtig. Analysen der OECD und des Pew Charitable Trust (Non-Profit-Organisation in Philadelphia) ergaben etwa, dass die Chancen eines durchschnittlichen Amerikaners, seine Lebensumstände zu bessern, unter jenen in Schweden oder Dänemark liegen. Dem stimmt auch Schnitzlein zu: „Die intergenerationale soziale Mobilität ist in den skandinavischen Ländern hoch und in den USA niedrig. Auf- und Abstiege sind also in diesen Ländern einfacher als in den USA.“ Soziale Mobilität wird jedoch von Ökonomen immer in einem Atemzug mit sozialer Ungleichheit genannt, also der ungleichen gesellschaftlichen Verteilung von Löhnen, Einkommen oder Vermögen. Forscher aus den USA entdeckten etwa: Je größer der Abstand zwischen Arm und Reich ist, desto schwieriger gestaltet sich der soziale Aufstieg in eine höhere Klasse. „Prinzipiell ist Mobilität ein Faktor, der Ungleichheit entgegenwirken kann“, so Schnitzlein. Die Grundidee sei, dass Ungleichheit tolerabel werde, wenn aufgrund von Mobilitätsprozessen Auf- und Abstiege für jeden möglich sind – aufgrund eigener Entscheidungen und Leistungen. Aber, und damit bestätigt der Deutsche die US-Forscher: „Betrachtet man das Einkommen, so zeigt sich ein starker statistischer Zusammenhang, dass in Ländern mit höherer Einkommensungleichheit niedrigere intergenerationale Einkommensmobilität vorliegt.“

In Österreich fällt die (Einkommens-)Ungleichheit im internationalen Vergleich relativ gering aus, genauso in Deutschland. Nach dem Gini-Koeffizienten sind diese Länder im oberen Mittelfeld. Der Index für Ungleichheit vergleicht etwa das Einkommen der reichsten zehn Prozent mit jenem der ärmsten zehn Prozent. Die USA und die südeuropäischen Staaten hinken hier hinterher, die Schere verschärft sich gar. Vermögen hingegen ist in Österreich sehr ungleich verteilt. Global gesehen können die Entwicklungen also nicht so rosig sein. Denn die OECD warnte 2015 nicht nur vor sozialen, sondern auch vor wirtschaftlichen Schäden: Aufgrund der hohen Ungleichheit habe der OECD-Raum zwischen 1990 und 2010 insgesamt 4,7 Prozentpunkte an Wachstum eingebüßt.

Einen konkreten Lösungsansatz verfolgen internationale Experten: „Die Bildungssysteme müssen durchlässig gestaltet sein. Auch in Ländern, in denen die Kinder im Schulsystem bereits früh auf einzelne Zweige aufgeteilt werden, sollten spätere Wechsel in höhere – aber auch niedrigere – Zweige möglich sein“, sagt auch Forscher Schnitzlein.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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