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Still Awake

Wer entscheidet über Leben und Tod? Eine der früher zentralen Fragen der Religion verlagert sich zunehmend in den Bereich der Wissenschaft. Dort gibt es einen –vermeintlichen – Heilsbringer: die Kryonik.

Eine Britin leidet an Krebs. Sie ist erst 14 Jahre alt, ihr Name ist unbekannt. Die Diagnose „unheilbar“ trifft sie wie ein Schlag. Ihren letzten Ausweg sieht sie in der Kryonik, dem Einfrieren des (menschlichen) Organismus, mit dem Ziel, diesen in ferner Zukunft wieder auftauen zu lassen. Dann, wenn ihre seltene Krebsart heilbar ist. Darüber entsteht ein Rechtsstreit zwischen ihren geschiedenen Eltern: Steht ihr das „Recht auf Leben“ auch nach dem Tod zu? Wer kann darüber entscheiden? Das Mädchen zieht bis zum Obersten Gerichtshof in London – und gewinnt. Ihr Brief an einen der Richter ging 2015 durch die Medien und rückte die Kryonik – einmal mehr – ins internationale Rampenlicht. Ein Auszug: „Ich glaube, die Konservierung durch Einfrieren gibt mir die Chance, geheilt und wieder aufgeweckt zu werden, auch wenn es erst in hunderten von Jahren ist." Nun befinden sich ihre sterblichen Überreste in einem Stickstoffbehälter mitten in der Wüste von Scottsdale, Arizona. Bei der Alcor Life Extension Foundation, gegründet 1972, bietet man Kryokonservierung seit 1976 an. Mittlerweile sind dort rund 150 Verstorbene aufbewahrt, besser gesagt: ganze Körper, Köpfe und Gehirne. Weitere 1000 Mitglieder stehen bereits in der Warteschlange. Dabei sind nach der Non-Profit-Organisation diese „Kryoniker“ gar nicht tot, sie sind lediglich „kryokonserviert“. Medizinisch – und juristisch – sind sie es freilich schon. Denn der klinische Todesfall tritt ein, wenn Herzschlag und Atmung aussetzen. Juristisch wird der Todeszeitpunkt mit dem Hirntod bestimmt, elektrische Aktivität des Gehirns, Wahrnehmung, Bewusstsein und die zentralnervöse Steuerung elementarer Lebensfunktionen fallen allesamt aus.

Diesen Zustand überwinden. Der Wunsch nach ewigem Leben. Ohne Grenzen. Er erweckt Hoffnungen und Sehnsüchte, genauso aber kritische Stimmen - und das seit 50 Jahren. Damals, 1967, ließ sich der Psychologieprofessor James Bedford als erster Mensch einfrieren. Er war unheilbar an Nierenkrebs erkrankt, die Forschungen des amerikanischen Physikers Robert Ettinger zur Eiskonservierung hatten ihn begeistert. Von Kryonik-Anhängern wird dies bis heute als Sensation gefeiert. Das größte Manko bleibt aber bestehen: Bis heute wartet Bedford in einer der Stahlkapseln von Alcor auf seine Wiederauferstehung. Hinter der Methode, seine Zellen unbeschädigt wieder aufzutauen, steht weiterhin ein großes Fragezeichen.

Er wird auf unbestimmte Zeit eingefroren bleiben, bis es der medizinischen Wissenschaft möglich ist, Krebs und jegliche Frostschäden, die aufgetreten sein könnten, zu heilen. Und vielleicht auch das Altern.

(Mitteilung der „Cryonic Society“ 1967 zum ersten Kryoniker James Bedford)

Kryonik ist also längst kein Science-Fiction mehr. In diesem Kosmos spielt das Einfrieren – besonders um zukünftige Gesellschaftsmodelle zu erleben – überhaupt bereits seit über 100 Jahren eine Rolle: In Edward Bellamys Roman „Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887“ (1888) steht der vereiste Hauptakteur in ferner Zukunft wieder auf. „Die Tür in den Sommer“ von Robert A. Heinlein aus 1956 erzählt die Geschichte des Erfinders Daniel Boone Davis, der mithilfe eines „Kälteschlafs“ 1970 das Jahr 2000 erlebt. Skurril, und zugleich sinnbildlich für die Polarisierung der Thematik ist die Szene im Film „Austin Powers“: Der Geheimagent Austin Danger Powers lässt sich in London der 1960er-Jahre einfrieren. 30 Jahre später gelingt es, ihn wieder aufzutauen, damit er die Welt vor seinem Widersacher Dr. Evil retten kann. 

Geschäft mit dem Tod?

Heute beschäftigt die Kryonik Wissenschafter, Mediziner und vor allem Patienten. Die Zahl der eingefrorenen Menschen ist weltweit noch überaus überschaubar, sie wird auf rund 2.000 geschätzt. Neben Alcor haben sich das Cryonics Institut in Detroit und das seit 2003 existierende russische Unternehmen Kriorus dieser Technologie verschrieben. Die Kosten für das Einfrieren samt Aufbewahren betragen – je nachdem welcher Körperteil betroffen ist – zwischen 25.000 und 200.000 €. Bei Alcor verlangt man etwa für eine Ganzkörperkonservierung 200.000 US-$. Aufgetaut wurde noch keiner dieser Personen, trotzdem nimmt das Verlangen nach Unsterblichkeit scheinbar zu. Allein Alcor hat nach eigenen Angaben zehn neue Anmeldungen pro Woche. Dazu gehen regelmäßig Berichte durch die Medien: Einer der Vorreiter in Deutschland ist etwa der Anatomieprofessor Klaus Sames. Er berät das Cryonics Institute, ist Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase und setzt sich für die Akzeptanz von Kryonik ein. Nach seinem Tod will er sich selbst einfrieren lassen. Auch der deutsche Versicherungsmathematiker Thorsten Nahm hat bereits einen Vertrag mit Alcor abgeschlossen. Nach eigenen Angaben hat er keine Lust „als tatteriger 80-Jähriger wieder zurückzukommen“. Im Silicon Valley hat man ebenfalls bereits das (unternehmerische) Potenzial entdeckt. Einer der größten Kryonik-Förderer ist Peter Thiel, Mitgründer von PayPal und erster Investor bei Facebook.

Dennoch sind zahlreiche medizinische Fragen offen. Die Konservierung funktioniert prinzipiell so: Das Blut wird durch eine spezielle Kühlflüssigkeit ersetzt. Diese enthält besondere Stoffe, die die Bildung von Eiskristallen verhindern sollen, ansonsten würde das Gewebe – und damit die Zellen – irreversible Schäden davontragen („Vitrifizierung“). Der Körper oder das einzelne Organ wird auf minus 196 Grad heruntergekühlt und in massiven, mit flüssigem Stickstoff gefüllten Tanks, gelagert. Die Verwesung des menschlichen Körpers bzw. der Organe soll so vermieden werden. Bei der Haltbarmachung von Samen- und unbefruchteten Eizellen soll die Technik aufgrund deren hoher Reproduktionsrate bereits gut funktionieren. Aber: Wie kann die vollständige Gesundheit beim Auftauen bewahrt bleiben? Um die optimale Erhaltung aller Körperteile zu erreichen, müssten für jeden einzelnen Zelltyp ein eigenes Gefrierschutzmittel eingesetzt werden. Dies gibt es aber bisher nicht. Eine Lösung könnte etwa künstlich hergestelltes Gewebe bringen, dass die beschädigten Strukturen ersetzt, so Kryonik-Anhänger.

Wenig verwunderlich haftet der Technik auf breiter Ebene aber weiterhin ein unseriöses Image bei. Ist es ethisch vertretbar, wenn wir beginnen, selbst über Leben und Tod zu entscheiden? Was macht es mit dem Menschen, wenn aus der Angst vor dem Tod ein Geschäft gemacht wird? Wie geht man mit einer völlig veränderten (sozialen) Umgebung um, wenn der eigene Körper erst in 100 Jahren aufgetaut wird? Kryonik-Anhänger glauben dennoch fest an den Siegeszug und den unaufhaltbaren medizinischen Fortschritt. So auch Marji Klima, Sprecherin bei der Alcor Life Extension Foundation.

Forbes: Was sind die Vorteile, die man sich von Kryonik verspricht?
Klima: Die Verlängerung des Lebens wäre der größte Vorteil. Speziell für diejenigen, die in einem jungen Alter verstorben sind und nicht die Möglichkeit hatten, ein langes Leben zu führen. Es gibt viele Krankheiten, wo wir kurz davor sind, diese heilen zu können. Vor 50 Jahren sind Menschen noch an Herzinfarkten und Herzinsuffizienz gestorben, weil es nicht die richtige Medizin gab, dass sie ihr Leben weiterführen können. Nun können die Menschen mit der richtigen Medizin und einer Änderung ihres Lebensstils noch ein vollständiges Leben nach einer Herzattacke führen. In den kommenden 50 Jahren können wir Krebs oder Alzheimer vielleicht schon vollständig heilen.

Dennoch steht die Technologie mancherorts nach wie vor in der Kritik. Die Vitrifizierung funktioniert laut Experten bei Sperma- und Eizellen, für Nervenzellen ist sie aber gefährlich. Das Problem sei die langsame Regeneration der Zellen und deren besondere, uneinheitliche Struktur.
Es stimmt, dass die Vitrifizierung und die anschließende Rückkehr des normalen Stoffwechsels zurzeit nur für kleine Gewebsteile – wie Blutgefäße – durchgeführt werden kann. Bei langsamen Wärmeübertragungen in großen Organen verursacht die aktuelle Technologie eine Anhäufung von toxischen Effekten. Die Gewebestruktur kann trotzdem erhalten bleiben. Alcors Vitrifizierung ist eine morphologische, die zwar die Struktur und den Großteil der Biochemie des Gehirns bewahrt, aber nicht genügend für die spontane Rückkehr des normalen Stoffwechsels. Es wird in Zukunft erforderlich sein, Moleküle, die durch die Vitrifizierung verändert wurden, wiederinstandzusetzen oder auszutauschen. 

Bislang ist es lediglich gelungen, eine eingefrorene Hasenleber aufzutauen. Wann wird dies beim menschlichen Organismus oder einzelnen Organen möglich sein?
Experten sagen, dass die Technologie voraussichtlich nicht in den kommenden 100 bis 200 Jahren funktionieren wird. Es gibt es aber bereits Forschungen zu kleinen Zellorganismen.

Was wenn die zukünftige Medizin niemals dazu imstande sein wird – war dann alles für nichts?
Die meisten Kryoniker würden Nein sagen. Es geht um die Möglichkeit an sich, dass es funktionieren wird. Verbrannt oder begraben werden ist für sie einfach keine Option.

Wie wird im Vertrag zwischen Ihrem Unternehmen und dem Patienten garantiert, dass man in einem gesunden Körper wieder aufwacht?
All unsere Mitglieder wissen, dass es keine Garantie gibt. Sondern nur die Möglichkeit, dass die Technologie bis zum Zeitpunkt der geplanten Wiederbelebung voranschreitet.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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