Mit dem FORBES Newsletter bekommen Sie regelmäßig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-Mail-Postfach geliefert.
Die Digitalisierung der Landwirtschaft schreitet voran. Neue Technologien versprechen Ressourceneffizienz, Umweltschonung und verbesserte Tierhaltung. Wird der Bauer bald endgültig zum Smart Farmer?
Der Film „Interstellar“ von Christopher Nolan zeichnet ein düsteres Szenario. Das irdische Leben ist unmittelbar bedroht, die industrielle Fertigung liegt am Boden. Die vereinzelten Überlebenden konzentrieren sich auf die Landwirtschaft, um noch etwas erwirtschaften zu können. Der ehemalige NASA-Astronaut Joseph Cooper besitzt eine eigene Farm, seinen Acker pflügt ein autonom gesteuerter Traktor. Doch auch das wird langfristig nicht zum Überleben reichen. Die Menschheit macht sich deshalb auf in eine andere Galaxie. „Interstellar“ spielt mit spektakulären Fantasiewelten in gar nicht so weit entfernter Zukunft, nämlich der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts.
Eines der Elemente aus diesem Science-Fiction-Kosmos ist rund fünfzig Jahre früher, sprich heute, bereits verwirklicht. Der Nutzfahrzeugkonzern CNH Industrial, der dem Autobauer Fiat Chrysler untersteht, stellte erst kürzlich die Prototypen „Case IH Magnum“ und „New Holland T8 NHDrive“ vor. Bei beiden handelt es sich um vollständig autonome Traktoren – ohne Fahrer. Die Marke Case verzichtet gänzlich auf eine Fahrerkabine und empfängt meteorologische Daten von Satelliten über Sensoren. Im Fall eines Gewitters schaltet sich das Fahrzeug somit automatisch ab.
Damit gehen diese Traktoren einen Schritt weiter als bisherige Modelle: Denn automatische Lenkung und Telematikdienste gehören bereits zum Standard moderner Traktoren, womit unter anderem die Fernsteuerung der Landmaschinen möglich ist. Mit der autonomen Technologie können per präzisem GPS-Signal und Satellitennavigation Felder vermessen und, darauf basierend, die optimale Fahrroute analysiert werden. Die Traktoren suchen anhand des Bodens die effizientesten Wege, um Treibstoff zu sparen. Die Hightech-Geräte sind etwa für die Bodenbearbeitung, Pflanzen oder das Mähen vorgesehen. Somit könnten sie dem Bauern tatsächlich einiges an Arbeit – bis zu 24 Stunden am Tag, wie CNH Industrial verspricht – ersparen. Gänzlich obsolet wird dieser – trotz der autonomen Technologie – aber scheinbar nicht. So kann über eine interaktive Benutzeroberfläche von vornherein die effizienteste Wegführung festgelegt werden, die gewählte Tätigkeit übt der Traktor dann unabhängig aus. Die Kontrolle über die Maschine wird ebenfalls ermöglicht, denn die gesammelten Daten werden ohne Zeitverlust überspielt. Der Landwirt kann jederzeit sehen, wo sich der Traktor befindet und wie viel Treibstoff er noch hat. Sollte einmal alles schiefgehen, kann das Fahrzeug per Knopfdruck auf dem Steuerbildschirm ausgeschaltet werden.
In Testfahrten sind auch Traktoren von John Deere, dem US-Landmaschinenspezialisten, autonom im Einsatz. Technisch sei dies bereits möglich, heißt es von John Deere Deutschland, praxistauglich hingegen noch nicht: „Die Umsetzung ist bisher vor allem aufgrund von Sicherheitsauflagen nicht erlaubt. Unbefugte könnten sich den Maschinen im Feld nähern und Unfälle wären möglich. Eine gezielte Absicherung der Fahrzeuge wäre auf jeden Fall notwendig.“ Wie es scheint, wird es also noch eine Weile dauern, bis autonome Traktoren tatsächlich millimetergenau landwirtschaftlichen Boden bearbeiten. Denn auch bei CNH Industrial ist der Markteintritt noch nicht absehbar. Die neuen Traktoren sollen anfangs in Australien und den USA eingesetzt werden; ab nächstem Jahr sollen dann erste Pilotprojekte in Ostdeutschland und im Osten Frankreichs starten. 2020 könnten die Maschinen laut dem niederländischen Konzern Serienreife erreichen. Wirklich realistisch erscheint dies ob ungeklärter Fragen der (Daten-)Sicherheit aber nicht.
Ein anderes Produkt wird wohl etwas früher im landwirtschaftlichen Betrieb nutzbar werden. So hat John Deere den Traktorprototyp SESAM (Sustainable Energy Supply for Agriculture Machinery) entwickelt. Dieser wird elektrisch mit einer Kapazität von 130 kWh betrieben – das ist mehr Akkuleistung, als derzeit in gängigen E-Fahrzeugen enthalten ist. Davon erhofft sich das Unternehmen vor allem einen geringeren Wartungsaufwand, leisere Arbeitsweise und natürlich einen abgasfreien Betrieb. „Bis zur Marktreife werden sicherlich noch einige Jahre vergehen. Da die Landwirte immer mehr zu Energiewirten werden, sehen wir in der Elektrifizierung der Landmaschinen ein sehr großes Potenzial“, heißt es dazu von John Deere Deutschland.
Farming 4.0
Doch vernetzte Traktoren sind bei Weitem nicht die einzige Neuheit im Bereich Farming 4.0. Längst hat das Internet of Things (IoT) in der Landwirtschaft Einzug gehalten. Verschiedene Experten bewerten die Fortschritte sogar als rascher als jene in der Industrie 4.0. Das Feld ist dabei ein weites, es betrifft sowohl die Arbeit am Acker als auch jene im Stall. Digitale Landmaschinen wie autonom fahrende Mähdrescher dienen zur Ernte, Fütterungsautomaten alarmieren den Landwirt, wenn ein krankes Tier zu wenig frisst. Dabei werden über Sensoren tierspezifische Daten zum Fressverhalten erhoben. Robotertechnik sorgt etwa für eine Säuberung des Stalles oder ein tiergerechtes Melken. Weiters stecken etwa im Weinbau Sensoren im Boden, die über eine Funkverbindung Daten direkt an den Bauern senden. Die Wärme und Feuchtigkeit des Bodens wird gemessen und gibt so Aufschluss über die richtige Bewirtschaftung.
Insgesamt sollen also – auch untereinander kommunizierende – digitale Maschinen, Pflanzensensoren und Mähdrescher die landwirtschaftlichen Erträge steigern, Ressourcen und Umwelt schonen sowie die Tierhaltung verbessern. Die Branche reagiert anscheinend positiv auf die neuen Entwicklungen: In Deutschland nutzt bereits jeder zweite Landwirt und Lohnunternehmer (arbeiten als Dienstleister für Landwirte; Anm.) digitale Lösungen. Das ging 2016 aus einer repräsentativen Befragung des Deutschen Bauernverbandes (DBV) hervor. Neun von zehn Befragten sagen etwa, dass die Digitalisierung die Ressourceneffizienz in der Landwirtschaft erhöhe. Das Wertschöpfungspotenzial wird laut der Studie „Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland“ (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag von Bitkom) mit drei Milliarden € ebenfalls hoch bewertet. Für Österreich fehlen entsprechende Zahlen (noch).
Einiges offen
Digital Farming wird in den kommenden Jahren noch einige Innovationen auf den Markt bringen. Dennoch: So nützlich und chancenreich derartige Technologien auf den ersten Blick erscheinen mögen, werfen sie doch viele Fragen auf. Was bedeutet das für ein jahrhundertealtes Handwerk, das traditionellerweise von der unmittelbaren Arbeit am Acker und im Stall lebt? Was passiert bei einer technischen Störung mit den Tieren, die gefüttert werden müssen? Wird der Landwirt gar bald nicht mehr gebraucht?
Einige Fragen sind also noch zu klären, bevor die digitale Zukunft in der Landwirtschaft flächendeckend Einzug hält. Die Technologien stehen erst am Anfang, die mangelnde Praxisreife ist sicherlich ein Kernthema. Einen Betrieb derart umzustellen, dass alles wie bei Zahnrädern zusammenläuft, braucht Zeit. Dazu kommen hohe Investitionskosten, Landwirte haben bereits jetzt mit hohem Preisdruck und internationalem Wettbewerb zu kämpfen. Wie gewöhnlich für dieses Feld ertönt auch oftmals der Ruf nach Datensicherheit, diese müsse streng beim Bauern und seinen Zulieferern verbleiben. Für die Politik besteht hier noch Handlungsbedarf, ebenso wie bei einem ausreichenden Angebot an flächendeckender Internetversorgung.
Der Bauer wird auch weiterhin eine wichtige Schlüsselrolle einnehmen.
(John Deere Deutschland)
In puncto Fehlermanagement ist man bei John Deere Deutschland bereits in der Entwicklungsphase: So ermöglichen Telemetriesysteme (diese sind Teil des Programms „FarmSight“, einem Bündel von Landwirtschaftstechnologien; Anm.) die Überwachung der Maschine vom Büro des landwirtschaftlichen Betriebes oder der Servicewerkstatt aus. Die Einstellungen könnten optimiert und bei Störungen Hilfe von außen angeboten werden. Dass der Landwirt bald nicht mehr gebraucht wird, glaubt man bei dem Landtechnikspezialisten jedenfalls nicht: „Der Bauer wird eine wichtige Schlüsselrolle einnehmen. Sein Know-how und seine Erfahrung werden auch zukünftig wichtig sein. Er füttert quasi die Systeme, die dann in höchster Präzision und Wiederholbarkeit die Anwendungen ausführen. Für einen erfolgreichen Landwirt wird die Vernetzung sehr wichtig sein.“ Bleibt abzuwarten, wie sich die globale Transformation einer ganzen Branche letztendlich auf den Arbeitsalltag von Bauern hierzulande auswirkt.