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Selbst-gesteuert

Technologien, die dem Menschen übermenschliche Kräfte verleihen: In Science-Fiction wie „RoboCop“ ist das Realität. Im echten Leben gibt es maschinelle Behelfe, die die individuelle Mobilität zurückgeben sollen.

Alex Murphy ist Polizist. Ein Einsatz kostet ihn das Leben, er erwacht quasi als unzerstörbarer Cyborg wieder zum Leben – halb Mensch, halb Maschine. Murphys Gesicht, sein Gehirn und weitere Körperteile leben in einem Roboter eingebaut, weiter. So weit die Story des 1987 erschienenen Science-Fiction-Klassikers „RoboCop“. Zwar gibt es derartige Cyborgs heute in dieser Form noch nicht. Die Literaturwissenschaftlerin Katherine Hayles beispielsweise, hält aber aufgrund der in den Menschen eingebauten, künstlichen Ersatzteile zehn Prozent der amerikanischen Bevölkerung für Cyborgs. Und auch „RoboCop“ hat als Vorlage für eine reale Geschichte gedient.

Seit einem Unfall im Dienst, sitzt die ehemalige Polizistin Nicki Donnelly im Rollstuhl. Das Schicksal der jungen Mutter bewegte einen unbekannten Sponsor dazu, Donnelly mit einem Exoskelett des Unternehmens ReWalk zu unterstützen. In Anlehnung an RoboCop, taufte Donnelly’s Tochter das Exoskelett „Alex“. „Amit Goffer hat ReWalk bereits 2002 gegründet. Er ist Elektroingenieur und wollte etwas entwickeln, um Querschnittgelähmten Unabhängigkeit zurückzugeben, geeignet für unterschiedlichste Alltagssituationen.“ Larry Jasinski erzählt von ReWalk und dem israelischen, selbst querschnittgelähmten Gründer, der aus der eigenen Not heraus seinen Erfindergeist mobilisierte. Er hat mit der Technischen Universität Technion in Israel ein Produkt entwickelt, das eine einmalige Kombination aus einer Software, die den menschlichen Gang mimt, neuartiger Batterietechnologie und Sensorik, die individuelle Kontrolle versichert, darstellt. „2012, als er gezeigt hatte, dass das System funktioniert, kam ich als CEO an Bord. Meine Mission ist es, ReWalk für Querschnittgelähmte auf der ganzen Welt zugänglich zu machen.“

Für Privatpersonen noch kaum leistbar

Seit 2014 ist ReWalk als erster kommerzieller Produzent mobiler Exoskelette durch die Food and Drug Administration auf dem US-amerikanischen Markt zugelassen und hat damit die erste große Hürde genommen. Auch die CE-Zulassung für den europäischen Markt hat das Unternehmen bekommen. Nach wie vor fließt der Großteil des ReWalk-Kapitals in Forschung, sowohl am Produkt als auch an den Effekten des Produktes, um den nächsten Sprung zu schaffen: Die massenhafte Finanzierung von Exoskeletten – so hochpreisige Behelfe (günstige wie von Indego ab ca. 25.000 US-$, ReWalk 77.500 US-$) sind für Privatpersonen kaum leistbar. „Es gibt genug Menschen, die ReWalk brauchen, aber nicht finanzieren können – Versicherungen müssen hier einspringen.“

„Der Markt ist noch sehr jung und die Entwicklung bei Weitem noch nicht abgeschlossen“, erklärt Volker Bartenbach, der an der ETH Zürich an Exoskeletten forscht. Dennoch tut sich einiges, und das war auch längst überfällig. Denn für Querschnittgelähmte kann es gefährlich werden. Sitzen sie zu lange, riskieren ernst zu nehmende gesundheitliche Folgen wie die Degeneration des Gewebes, was wiederum zu Verletzungen führen kann – Druckstellen beispielsweise ziehen Infektionen nach sich, die lange nicht heilen, im schlimmsten Fall sogar zu Amputationen führen. Die Knochendichte nimmt ab, was wiederum zu Brüchen führt, die ebenfalls schlecht verheilen. Und das Herzkreislaufsystem leidet. ReWalk weist in eigenen Studien nach, dass die Exoskelette positive Gesundheitsfolgen haben.

Hybridorthesen, die die Muskelaktivität integrieren, sind zu bevorzugen.
(Winfried Mayr)

„Man muss individuell sehen, was therapeutisch Sinn macht. Passive Orthesen jedenfalls, wie diese Exoskelette, führen passive Bewegungen herbei und aktivieren die Muskeln in den Beinen nicht. Das ist ein Nachteil“, erklärt Winfried Mayr. Er beschäftigt sich seit 1983 mit Querschnittlähmungen und ist Teil der Arbeitsgruppe für Rehabilitationstechnik und Neuroprothesen am Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der MedUni Wien. „Hybridorthesen, die die Muskelaktivität integrieren, sind zu bevorzugen“, erklärt er, „denn vor allem  im viel strapazierten Gesäßbereich bleibt sonst nur degeneriertes Gewebe, also Fett. Das kann zu problematischen Infektionen führen, weil der schützende Muskel fehlt.“ Bei passiven Orthesen schleppt man zudem Akkus mit, anstatt über Elektroden die eigene Muskulatur zu stimulieren und zu trainieren, so Mayr weiter. Ein bekanntes Beispiel für eine hybride Orthese liefert das „Walk Again“-Projekt, das 2014 einen Querschnittgelähmten den Anstoß zur Fußball-WM in São Paulo machen ließ. Durch die von Elektroden stimulierte Gehirnaktivität führte damals der Körper, gestützt durch ein Exoskelett, die Kick-Bewegung aus. Noch sind diese Technologien nicht ausgereift, zudem sind teils auch chirurgische Eingriffe am Kopf notwendig. Die Anwendungsmöglichkeiten beschränken sich zurzeit auf den Rehabilitationsbereich. Auch Nicki Donnelly kann ihr Exoskelett aufgrund gesundheitlicher Schwierigkeiten nicht mehr nutzen, steht aber nach wie vor hinter dem Unternehmen und der Entwicklung und glaubt, dass Exoskelette wie jenes von ReWalk auch in Zukunft vielen Menschen helfen werden und vermehrt eingesetzt werden.  

Prothetik im Alltag

Ein anderes HealthCare-Unternehmen hat sich ebenfalls der Medizintechnik verschrieben, um Menschen mit Handicap ihre ganz persönliche Mobilität zurückzugeben: Otto Bock Healthcare, der Prothesen-Weltmarktfüher mit einer Niederlassung in Wien. Alexander Pototschnig trägt seit Kindertagen eine myoelektrische gesteuerte Prothese, die am Unterarmstumpf ansetzt. „Bei meiner Geburt bin ich mit einer Hand auf die Welt gekommen. Ich kann mit einer Hand Schuhe binden, kochen usw. Die Eingewöhnungsphase für die Prothese war nicht schwierig. Aber ich brauche die Prothese im Alltag: Beim Autofahren, Radfahren, auch in der Arbeit hilft sie.“

Damit meint er seinen Lehrabschluss als Zerspannungstechniker bei Otto Bock Healthcare in Wien.  Sein eigener Background kommt ihm dabei zugute: Denn Pototschnig serviciert und repariert just nur das Handmodell, das er selbst trägt. Mit der „Michelangelo“-Prothese, sie wird in Wien gefertigt, können sieben Handpositionen ausgeführt werden – und damit etwa problemlos Geldscheine, Handys, Stifte und Teller gehalten werden. Sie basiert auf dem „Axon-Bus-System“, einem geschlossenen Datenübertragungssystem. „Indem ich die Oberarmmuskeln anspanne, entsteht Spannung, die an der Hautoberfläche messbar ist. Elektroden leiten diese an die Prothese weiter. Integrierte elektrische Motoren und Mikroprozessoren wandeln sie in Bewegung um. Man kann auch die Empfindlichkeit regeln“, erklärt der Niederösterreicher.

Das ist zwar eine Utopie, aber mein persönliches Motto ist, dass die Betroffenen ihr Handicap vergessen können.
(Hans Dietl)

Doch die Produktpalette des Unternehmens mit Konzernstammsitz im niedersächsischen Duderstadt geht über die Prothetik hinaus: In Duderstadt und Wien forscht und entwickelt man zu Orthesen, MedicalCare sowie Human Mobility (Rollstühle, Reha-Hilfsmittel). 2016 stieg der weltweite Umsatz um 4,3 Prozent auf 847 Millionen €, die Mitarbeiterzahl auf mehr als 6.500. „Mein persönliches Motto ist, dass die Betroffenen ihr Handicap vergessen können. Das ist zwar eine Utopie, die man nicht erreichen kann. Aber wir versuchen, dass wir dieser mit unseren Innovationen immer ein Stück näherkommen“, sagt Hans Dietl, CTO und Geschäftsführer der Wiener Otto-Bock-Niederlassung und für Forschung und Entwicklung (F&E) zuständig.

Eine spezielle Technik, die sich erst im Entwicklungsstadium befindet, könnte weitreichende Änderungen bringen: die der „fühlenden“ Prothesen. Generell wächst der Prothetik-Markt stetig an, insbesondere im Bereich der bionischen Rekonstruktionen: Prothesen werden über reaktivierte Nervenimpulse im menschlichen Körper gesteuert. Sie sind wahre Hightech-Produkte. Am Markt existiert bereits die „gedankengesteuerte“ Armprothese, der Betroffene „denkt“ die Bewegungen – sie wurde von Otto Bock gemeinsam mit US-Partnern entwickelt und 2007 als Prototyp präsentiert, 2010 folgte die Markteinführung. Sie funktioniert so: Nervenbahnen, die vor der Amputation den natürlichen Arm steuerten, werden mit Nerven der Brustmuskulatur verbunden. Diese neue Verbindung wird zur Signalübertragung vom Gehirn an die Prothese genutzt. Die Muskelsignale, die während der Kontraktion entstehen, werden über Elektroden vom Brustmuskel abgeleitet und steuern so den künstlichen Arm. Der Betroffene kann die Prothese dadurch intuitiver nutzen und hat mehr Gelenke zur Verfügung als bei der rein über Muskelimpulse gesteuerten Prothese. Der operative Eingriff, der dafür notwendig ist, lautet Targeted Muscle Reinnervation, TMR.

Als Prototyp besteht jedoch bereits die „fühlende“ Armprothese. Sie wurde von Otto Bock und der Medizinischen Universität entwickelt und präsentiert – und prompt als Sensation gefeiert. Maßgebend beteiligt daran war Hubert Egger, heute Professor an der Fachhochschule Oberösterreich. Dabei wird ein selektiver Nerventransfer – Targeted Sensory Reinnervation – am Prothesenanwender durchgeführt. Das Endergebnis: Informationen wie Temperatur oder Vibration werden über Mikrosensoren und elektrische Leitungen an den Zeigefingern wahrgenommen. Bei der „fühlenden“ Beinprothese, sie besteht ebenfalls erst als Prototyp, kann der Patient aufgrund der gesetzten neuronalen Verbindung an der Sohle des Prothesenfußes fühlen. Die „Phantomschmerzen“ der Testperson sind somit verschwunden. Otto Bock arbeitet daran, diese Technologien zu verwirklichen, denn noch ist der kommerzielle Markteintritt Zukunftsmusik.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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