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Rote oder Blaue Pille

Die Filmtrilogie „Matrix“ zeichnet ein düsteres Bild rund um virtuelle Welten. Ganz so schlimm ist es nicht, doch die technologischen Fortschritte von Virtual Reality machen die im Film gezeigten Simulationen gar nicht so unrealistisch. Und: es wird noch lebensechter.

Eine Art Steckdose befindet sich auf dem Hinterkopf von Neo. Er setzt sich in einen Stuhl, der passende Stecker wird an seinen Kopf angeschlossen – und er ist in einer neuen Welt.  Es handelt sich dabei um eine Simulation, eine „Traumwelt“, wie es sein Mentor Morpheus beschreibt. Die eigentliche Welt ist ein dunkler, düsterer Ort. Doch der Großteil der Menschen lebt eben in der Matrix, einer von Computern entworfenen Welt, die die Menschheit sedieren und unter Kontrolle halten soll.

Mehr Dystopie als Utopie ist die Fimtrilogie rund um „den Auserwählten“ Neo glücklicherweise doch nur Fiktion. Doch Virtual Reality – die Erschaffung neuer, simulierter Welten um uns herum – geht zumindest in eine ähnliche Richtung. Heutzutage lässt sich mit passenden Virtual Reality Brillen, etwa der „Rift“ von Facebook-Tochter Oculus, zahlreiche Welten erleben. Wir können Achterbahnfahren, interaktive Musikvideos erleben und ganze Dokumentationen in 3D um uns herum stattfinden lassen (Anmerkung: die Begriffe Virtual Reality und Augmented Reality werden oft gemeinsam, manchmal synonym verwendet. Da es hier um die Erschaffung neuer, virtueller Welten geht und nicht um die Erweiterung der bestehenden Realität, beziehen wir uns in diesem Artikel ausschließlich auf Virtual Reality).

Egal ob Facebook, Google, Apple oder Samsung – jeder dieser Großunternehmen will Marktführer für die Technologie werden. Das zeigen auch die Zahlen: Wurden 2015 „nur“ rund 700 Millionen US-$ in VR und AR investiert, stiegen die Investments 2016 um 300 Prozent auf 2,3 Milliarden US-$. Gleichzeitig verdiente die Branche rund sechs Milliarden US-$.

Einen Schritt weiter gedacht wäre eigentlich so vieles möglich: Meetings per VR-Brille, Urlaub in simulierten Welten, VR-Konzerte. Wenig überraschend hat auch die Erotikbranche den Trend für sich entdeckt.

Doch die VR-Möglichkeiten der „Matrix“ wollen bei uns scheinbar nicht so recht ankommen. Der Hype rund um Virtual Reality kochte 2014 und 2015 fast über. Die Auslöser? Facebook kaufte 2014 Brillenhersteller Oculus VR um zwei Milliarden US-$; HTC brachte 2015 „Vive“ auf den Markt. Und auch andere Hersteller, nicht zuletzt Samsung, stiegen in die Branche ein. Doch der große Boom blieb aus.

Die Verkäufe von High-End-Geräten pro Quartal lagen 2016 bei insgesamt bei rund 1,7 Millionen Stück, 2017 waren es nach den ersten drei Quartalen etwa rund zwei Millionen. Dabei werden „billigere“ Geräte, wie Samsungs Gear VR, die laut Experten mehr als Handyträger als als VR-Brille fungieren, in dieser Rechnung noch nicht berücksichtigt. Samsung alleine verkaufte 5 Millionen Stück seiner Brille.

Zum Vergleich: Alleine Apple verkauft im Quartal bis zu 78 Millionen iPhones. Und auch wenn das vielleicht ein Vergleich von Äpfel und Birnen sind – Virtual Reality ist nie wirklich im Mainstream angekommen.

Das Problem ist oftmals die Komplexität solcher Entwicklungen. Das gab auch Facebook Gründer Mark Zuckerberg zu, der Oculus 2014 optimistisch für zwei Milliarden US-$ übernommen hatte. Zuckerberg dazu: „Diese Sachen sind am Ende oft komplexer, als man vorab denkt. Wahrscheinlich müssen wir noch mehr Geld investieren, um unsere urprünglich gesteckten Ziele zu erreichen.“

Hinzu kommt, dass diejenigen, die die Tools nutzen, auf Probleme stoßen. Das zeigt etwa der Bericht einer Betroffenen, die in einem VR-Spiel sexuell belästigt wurde. Ein anderer Spieler hatte an ihrer Stimme erkannt, dass sie weiblich ist und ihr in den Schritt gegriffen. Die Reaktionen fielen heftig aus, viele Beobachter kritisierten die Autorin, dass ein Übergriff in der virtuellen Welt nicht mit realer Belästigung zu vergleichen sei. Die Betroffene – übrigens ein Opfer eines Übergriffs in der Realität – beschrieb die bei ihr ausgelösten Emotionen jedoch als ziemlich ähnlich.

So stellen sich auch moralische Fragen: „Zählen“ Verbrechen in der virtuellen Welt? Ist VR-Sex echt? Wo ist die Grenze zwischen echt und virtuell?

Doch Optimisten sehen einen – wenn auch langsam – wachsenden Markt sowie weiterhin ein riesiges Potenzial. Und tatsächlich sind die Chancen für VR weiterhin gut, im Mainstream anzukommen. Nach schwacher Nachfrage reduzierte etwa Facebook den Preis des Oculus Rift von 800 auf 399 US-$ – was die Verkäufe ankurbeln könnte.

Und wenn man dem „Gartner Hype Cycle“ Glauben schenken darf, dann hat VR zwar den Hype hinter sich gelassen, bewegt sich aber jetzt erst in Richtung „Plateau of Productivity“.

Und der Markt dürfte weiter wachsen. Denn die Videospielbranche treibt den Trend kräftig an. So soll das Marktvolumen für VR und AR laut dem Forschungsunternehmen IDC von 5,2 Milliarden US-$ im Jahr 2016 auf 162 Milliarden US-$ im Jahr 2020 wachsen. Die Nachfrage nach VR-Spielen von legendären Titeln wie Elder Scrolls V: Skyrim, Fallout und Doom scheint zu boomen. Und auch die Unterhaltungsbranche könnte noch einen Boost bringen. Erster Test könnte die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland werden, wo ähnliche Technologien eingesetzt werden sollen.

Die Versprechen, die VR vor wenigen Jahren mit sich brachte, hat die Technologie also bisher noch nicht erfüllen können. Ob das Wachstum mit niedrigeren Preisen und getrieben von der Videospiel- und Unterhaltungsbranche anzieht, bleibt abzuwarten.

Und selbst dann stehen noch eine ganze Reihe von Fragen an, die moralische und ethische Dilemmata zwischen echter und virtueller Welt mit sich bringen könnten. Also stellt sich für Virtual Reality-Kunden wohl die Matrix-Frage: Rote oder Blaue Pille?

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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