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Inequality

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird besonders in den USA größer – aber leben die Top-Ein-Prozent der Einkommensverteilung auf Kosten der unteren 99 Prozent?

Los Angeles; wir schreiben das Jahr 2154. Armut, Ausbeutung und Arbeitslosigkeit beherrschen die Stadt. Um die heruntergekommene Welt kreist eine „Gated Community“ namens Elysium. Wenige privilegierte Menschen haben sich samt ihrem Reichtum auf eine Raumstation zurückgezogen. Der Film „Elysium“ zeigt eine extreme Kluft zwischen Arm und Reich und eine daraus resultierende Spaltung der Welt in eine privilegierte Minderheit und eine benachteiligte Mehrheit.

Im Jahr 2018 stellt sich die Situation anders da: die Einwohner von Los Angeles führen insgesamt ein anständiges Leben, Armut und Arbeitslosigkeit existiert nicht im selben Ausmaß wie im Film „Elysium“. Gleichzeitig steigen mit gewissen Trends in der Einkommensverteilung in Europa und in den USA die Sorgen vor sozialen Ungleichheiten.

In den USA hat sich seit den 1980er-Jahren der Anteil der Einkommen der obersten ein Prozent der Einkommensverteilung in der USA fast verdoppelt – in Europa fiel der Anstieg in derselben Einkommensklasse relativ moderat aus. Zu der Zeit hatte US-Präsident  Ronald Reagan die Spitzensteuern stark gesenkt. Dank dieser Senkungen können Topverdiener viel mehr von ihrem Salär für sich behalten. „Davor hat es sich einfach weniger gelohnt, in diese Einkommensbereiche vorzudringen und sich diese hohen Gehälter auszuhandeln“, sagt Florian Scheuer, Wirtschaftsprofessor an der Universität Zürich, der sich in seiner Forschung mit den Themen Ungleichheit und Steuerpolitik auseinandersetzt.

Doch nicht nur die oberste Spitze galoppiert immer weiter davon – auch die Mitte der Einkommensverteilung steht vor Herausforderungen: „Die Automatisierung hat zu einer Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt geführt und die Mitte der Einkommensverteilung ausgehöhlt“, so Scheuer weiter. „Maschinen übernehmen heute vor allem Datenverarbeitungs- und Industriearbeiterjobs, die früher ein mittleres, gut bezahltes Einkommen garantiert haben. Service-Jobs und kognitive Arbeiten, die von Menschen ausgeführt werden, die sich am unteren beziehungsweise oberen Ende der Einkommensverteilung befinden, sind davon noch weniger betroffen.“ Dadurch sinken die Löhne der Mittelschicht in den USA und Europa tendenziell, während die unteren und oberen Einkommen von den technischen Innovationen profitieren.

Entgegen dem Bild der Vereinigten Staaten als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hat das Land eine geringere intergenerationelle Mobilität als die meisten Länder Europas. Diese misst die Auf- und Abstiegsbewegungen innerhalb einer Gesellschaft. Laut Scheuer spielt die unterschiedliche Finanzierung der Bildungssysteme hier eine zentrale Rolle. In den Vereinigten Staaten wird die Bildung stark privat finanziert, in Europa vor allem über öffentliche Gelder. Die intergenerationelle Mobilität variiert jedoch innerhalb der USA beträchtlich.

Steuern die USA also auf ein Szenario wie im Science-Fiction-Szenario „Elysium“ zu? Der Aufstand im Film wird durch zwei Komponenten befeuert: Eine reiche Minderheit verfügt über die politische Macht und eine unzufriedene Mehrheit hat genug und nichts mehr zu verlieren.

„In den USA hat US-Präsident Donald Trump gerade eine Steuerreform vollzogen, die die Reichsten am meisten begünstigt. Vom Szenario, dass Reiche das System zu ihren Gunsten nutzen und so die Demokratie gefährden, sind wir also gar nicht mehr so weit entfernt,“ sagt Scheuer. Das politische System von Amerika lässt zu, dass mit Reichtum politischer Einfluss gekauft werden kann. Der französische Ökonom Thomas Piketty, Autor des Bestellers „Kapital im 21. Jahrhundert, stellt sich die Frage, weshalb solche politischen Ungleichgewichte – trotz eines demokratischen Systems – nicht immer korrigiert werden. Er behauptet, dass sich neben der einkommens- und vermögensstarken Elite eine hochqualifizierte, intellektuelle Klasse entwickelt hat und dieses „Multi-Elite-Parteiensystem“ dominiere die Politik.

Die Brexit-Abstimmung in Großbritannien zeigt jedoch, dass sich in einer Demokratie immer noch wenig verdienende und wenig gebildete Mehrheiten bilden können und Piketty hält die Umwälzung des „Multi-Eliten-Parteiensystem“ durchaus für ein mögliches Zukunftsszenario. Erlangt eine privilegierte Minderheit in Europa oder in den USA zu viel Macht, ist es also wahrscheinlich, dass das System demokratisch und nicht – wie im Film „Elysium“ – gewaltsam umgepflügt wird.

Bleibt die Frage, ob die Leute der obersten Einkommensschicht auf Kosten der unteren Einkommensschichten leben. Scheuer kategorisiert in seiner Forschung Topverdiener in „Rent-seekers“ und „Superstars“. Während die „Rent-seekers“ ihr Topeinkommen ihren geschickten Verhandlungskünsten verdanken, resultieren die Saläre der Superstars aus produktiven Tätigkeiten: „Ähnlich wie bei Sängern, die nach der Einführung des Fernsehens riesige Märkte erobern konnten, führen massiv wachsende Unternehmen dazu, dass einzelne Manager heutzutage mit ihren Entscheidungen eine riesigen Einfluss auf Konzerne und sogar Märkte haben,“ sagt Scheuer. Die Leistung von Arbeitskräften in den verantwortungsvollsten Positionen habe einen bedeutenden Effekt auf die gesamte Wirtschaft und somit auf die unteren 99 Prozent der Einkommensklasse.

Eine andere Befürchtung ist, dass die Automatisierung zu Massenarbeitslosigkeit führt und es nur noch Jobs für diejenigen gibt, die Roboter kontrollieren und programmieren können. Die Automatisierung sei aber per se nichts Neues, meint Scheuer. Seit der Industriellen Revolution (1780 - 1940) seien immer wieder Jobs verschwunden und neue entstanden. Ein Unterschied zu früheren technologischen Neuerungen ist jedoch, dass die künstliche Intelligenz den Punkt erreichen könnte, an dem sie die kognitiven Fähigkeiten der Menschen nicht mehr braucht und sich selber regenerieren kann. Dann funktioniert die Extrapolation aus der Vergangenheit in die Zukunft nicht mehr: „Das macht es schwerer, die zukünftige Verteilung unserer Arbeitseinkommen, und wer dann überhaupt noch Arbeitseinkommen hat, vorherzusehen“, sagt Scheuer.

Eine wirtschaftspolitische Antwort auf bevorstehende Veränderungen in der Arbeitswelt könnte die Besteuerung von Robotern sein. Wenn Roboter Arbeitsplätze ersetzen, fallen auch die Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge dieser Arbeitsstellen weg. Eine Robotersteuer könnte diese Einnahmeverluste ausgleichen. Obwohl Robotersteuer die Innovationskraft möglicherweise hemmen könnte, findet Scheuer die Idee zumindest eine gute Übergangslösung: „Die Einnahmen können zu den Menschen umverteilt werden, die Zeit brauchen, um sich an die neuen Arbeitsbedingungen anzupassen.“

Die regionale Steuerpolitik bleibt auch bei den Einkommen der Top ein Prozent-Verdiener der Einkommensverteilung zentral. Korreliert das Vermögen wie in in den USA mit politischer Mitbestimmung, könne eine Vermögenssteuer das Potenzial für politische Ungleichgewichte verringern. Grundsätzlich würde Scheuer aber bei der Ursache ansetzen. Denn die Vermögensungleichheit sei ein Resultat der zunehmenden Einkommensungleichheit: „Wenn ich die Einkommen stärker umverteile, brauche ich hinterher keine zusätzliche Vermögenssteuer mehr, weil die Ersparnisse gar nicht so stark divergieren.“

Jedoch zeigt Scheuers Forschung, dass – sofern „Superstareffekte“ der Hintergrund für die Zunahme der Spitzeneinkommen sind – ein höherer Spitzensteuersatz eventuell kontraproduktiv ist. Denn in diesem Segment hängt sehr viel vom Einsatz der Protagonisten ab, und höhere Steuersätze könnten den Anreiz dämpfen, die benötigte Top-Performance zu erbringen, so Scheuer. „Um möglichst viel Steuererträge bei den Top ein Prozent der Einkommensbezieher zu erzielen, um es zu den unteren 99 Prozent zu verteilen, muss beachtet werden, wie die Einkommen reagieren. Eventuell fallen die Einkommen, wenn die Steuersätze steigen.“ Ein innovativer Vorschlag um „Rent-Seekers“ und „Superstars“ unterschiedlich zu besteuern, besteht darin, die Steuerprogression nur auf den Einkommensebenen anzuheben, auf denen sich besonders viele „Rent-seekers“ und weniger Superstars tummeln: „Das würde optimalerweise dazu beitragen, dass Leute von „rent-seeking“ Aktivitäten zu produktiven Tätigkeiten wechseln.“ Wenn hypothetisch gesehen der Finanzsektor überbezahlt wäre, könnte die Progression auf diesem Einkommensbereich erhöht und somit der Anreiz, beispielsweise ein innovatives Start-up zu gründen, gesteigert werden.

„Unicorns“ sind Start-ups, die einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar übersteigen. Solche „Unicorns“ machen die Gründer üblicherweise reich und bringen die Wirtschaft und die Gesellschaft voran. Einkommensungleichheit ist somit zu einem gewissen Grad unvermeidbar und aus Fortschritt können Ungleichheiten entstehen. Solange die Stücke vom ökonomischen Kuchen für alle größer werden, scheint ein Szenario wie im Film „Elysium” unwahrscheinlich. Umso mehr sich jedoch die hochgebildete und einkommensstarke Eilte vom ökonomischen und politischen Kuchen abschneidet, desto mehr wächst die Unzufriedenheit bei der benachteiligten Mehrheit. Im Zuge der Automatisierung, die Menschen am oberen Ende der Einkommensverteilung am meisten begünstigt, bleiben also Umverteilungsmaßnahmen von zentraler Bedeutung. So schlussfolgert Scheuer: „Die regionale Wirtschaftspolitik wird in Zukunft immer wichtiger.“

Autor: Kevin Blättler

Forbes Editors

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