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Gedankensprung

Eine sichere und effiziente Kommunikation durch Gedanken. Was bis jetzt nur in der Welt der Science-Fiction existierte, könnte in Zukunft auf gewisse Weise Einzug in unseren Alltag finden.

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine besondere Fähigkeit: Sie bringen einen Menschen dazu, genau das zu tun, was Sie von ihm verlangen. Dies geschieht, ohne dass Sie ein Wort sagen oder sich auf ihn einlassen müssen. Ganz ohne Anstrengung. Die Telepathie hat bereits viele Science-Fiction-Autoren angeregt, Romane zu diesem Thema zu schreiben. Einer davon ist Theodore Sturgeons 1953 erschienenes Buch „More than Human“.  Generell lebt Science-Fiction vom Glauben an die schier unbegrenzten Möglichkeiten der Naturwissenschaften und erträumt den nächsten großen Schritt der Menschheit. Doch Sturgeon geht darüber hinaus: Er fragt nach der Grenze zwischen Fortschritt und Selbstzerstörung. 1954 bekommt er dafür den „International Fantasy Award“ und sein Buch, das von einem einsamen Mann mit telepathischen Fähigkeiten handelt, wird zum Klassiker.

Doch was wäre, wenn jemand im Hier und Jetzt die Gabe der Telepathie besitzen würde? Es lohnt sich also, dieses Gedankenspiel näher zu beleuchten, besonders in einem Zeitalter, in dem Datenschutz und digitale Sicherheit zu unseren alltäglichen Ängsten gehören.

Fortschritt und Selbstzerstörung Seite an Seite

Doch zuerst zurück zu Sturgeon: Sein Protagonist, schlicht „Idiot“ genannt, schlägt sich mehr schlecht als Recht durch das Leben. Der sozialen Interaktion unfähig, überlebt er nur, weil er seinen Willen den Menschen um ihn herum aufzwingen kann. So stillt er seine Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst und Wohnen. Im Laufe der Geschichte schart sich eine kleine Gruppe von parapsychologisch Begabten um ihn. Der Idiot stirbt aber. Die Stimmung in der Geschichte wird ab dem Punkt immer düsterer und das Gleichgewicht gerät spätestens dann außer Kontrolle, als ein Soziopath die Rolle des Leaders übernimmt. Hier beginnt Sturgeons Bezug auf die Realität, die ihn damals umgab. Das Buch erschien in einer Zeit, als der Glaube an die Wissenschaft zuerst von der blanken Angst und danach vom Bewusstsein abgelöst wurde, dass es dem Mensch möglich ist, seiner Existenz mit wenig Aufwand ein Ende zu bereiten.  Das „Golden Age of Science Fiction“, das von 1938 bis etwa 1946 dauerte, war vorbei. 1945 wurde die ganze Welt Zeuge der Atomangriffe in Hiroshima. Bis heute haben sich im Laufe der Geschichte so manche Grausamkeiten abgespielt.

Doch was wäre, wenn eine aussergewöhnliche Begabung wie Telepathie jemanden zufallen würde, der es als seine Aufgabe versteht, sich für Fairness, Effizienz und Innovation auf der gesellschaftlichen-liberalen Ebene einzusetzen? Für Länder wie zum Beispiel Albanien oder Russland, die im Korruptionswahrnehmungsindex der global agierenden NGO Transparency International die Plätze 91 und 135 belegen, wäre das ein unglaublicher Segen.  Leise und unauffällig wäre das Problem der Wirtschaftskriminalität gelöst und Volkswirtschaften der Aufgabe gewidmet, nach und nach ihr Potenzial zu schöpfen. Denn Korruption führt zu einem enormen finanziellen Schaden und dem Verlust der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes. Dies lässt sich am Beispiel von Griechenland beobachten. Ein Gremium aus Vertretern der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und des Internationalen Währungsfonds (die „Troika“), das den Staatsapparat kontrollierte, zeigte einen enormen Verlust von ungefähr 20 Milliarden € pro Steuerjahr auf – ausgelöst durch mangelhafte Steuereintreibung. Dies beraubte den hellenischen Staat um seine wirtschaftliche Kraft. Neben einem ineffizienten Ablauf im Rahmen der Bürokratie, wird auch am Vertrauen der Steuerzahler in das System der freien Marktwirtschaft gerüttelt. Wie praktisch wäre es also, jeweils in die Köpfe der dafür verantwortlichen Menschen zu blicken? Und sogar noch die Entscheidungen zum Wohle der Mehrheit zu beeinflussen?

Doch selbst in politisch stabilen Staaten hätte ein Telepath enorme Macht. Wie leicht wäre es, ganze Aktienmärkte zu kontrollieren? Marketing müsste man neu definieren. Um herauszufinden, ob ein Produkt gefragt ist, müsste man nur in den Kopf von potenziellen Kunden eintauchen. Handelshemmnisse gäbe es sehr wahrscheinlich auch keine mehr, genauso wenig wie endlose Verhandlungen über Verträge. Ein Telepath könnte zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Entscheidungsträgern seine Interessen in den Kopf pflanzen. Wie von selbst würden dann die Ideen wachsen, sich verfestigen und vom Wunsch zur Meinung werden und schliesslich als Überzeugung Eintritt in die Wirklichkeit finden.

Wenn man das auf die heutige Zeit überträgt, erinnert es an das Internet als graue Eminenz und an die sozialen Netzwerke, die uns mittels Algorithmen jeweils die Beiträge auf unseren Bildschirmen erscheinen lassen, die genau unseren Interessen entsprechen. Das wirft folgende Frage auf, die derzeit viele Menschen beschäftigt: Wie frei sind wir noch in unserer Meinungsbildung? Die Initiative Algorithm Watch will für Transparenz sorgen, in dem sie die Prozesse der Entscheidungsfindung, die auf Algorithmen basieren, genauer beleuchtet – und zwar jene, die für eine Gemeinschaft von Bedeutung sind. Dazu gehört etwa die geheime Berechnung der Kreditwürdigkeit, die von der SCHUFA Deutschland durchgeführt wird (ein Unternehmen mit der Aufgabe, seinen Vertragspartnern Informationen über die Kreditwürdigkeit von Kunden zu geben und sie so vor Verlusten zu schützen, Anm.).

Wenn Telepathie möglich wäre

Mittlerweile sind nach Sturgeons Roman fünfundsechzig Jahre vergangen. Ist die Wissenschaft also bereit für den nächsten Clou? Gehen wir ins Jahr 2014, nach Thiruvananthapuram in Indien. Dort wurde ein Proband im Rahmen eines Experiments mit Elektroden an seinem Kopf an einen Computer angeschlossen. Er kommunizierte mit einem anderen Studienteilnehmer in Straßburg. Die beiden Männer taten das auf eine bestimmte Art, sie wechselten weder ein Wort noch nahmen sie ein technisches Mittel bewusst in die Hand. Ihre Gehirne waren es, die in Kontakt zueinander standen – in E-Mail Kontakt um genau zu sein. Das Ziel des Experiment sei es gewesen herauszufinden, ob die Gehirnaktivität eines Menschen gelesen und in einen anderen injiziert werden könne, erklärt der Studienautor und spanische Neurologie-Professor Alvaro Pascual-Leone der Nachrichtenagentur AFP. Vereinfacht gesagt: Es ging darum, Gedanken eines Menschen in einen anderen pflanzen. Das war der erste erfolgreiche Versuch von Telepathie – vorausgesetzt man weitet diesen Begriff etwas aus.

Das Experiment in Indien lief so ab: die Gehirnströme des Mannes wurden mit einer Elektroenzephalographie (EEG) gemessen. Ein Computer wandelt das in eine Sprache aus den Ziffern 0 und 1 um. Es handelt sich dabei um einen Binärcode – eine Computersprache. Wenn er eine 1 schicken will, stellt er sich vor, wie er die Hände bewegt. Dasselbe tut er für eine 0 mit den Füßen. Das Vorgehen ist vergleichbar mit dem Morsen, nur dass der Absender dabei eben an Hände und Füße denkt. Die Daten schickt sein Computer nach Straßburg zum Empfänger. An dessen Hinterkopf wiederum ist ein Roboterarm angeschlossen. Je nach Art des gesandten Signals aus Indien, reizt der Roboterarm das Sehzentrum des Teilnehmers. Kommt eine 1, sieht der Proband in Straßburg ein Aufblitzen. Bei einer 0 bleibt es dunkel. Ein Computer zu seiner Seite entschlüsselt die Impulse - wie etwa  ein „Hola“ (spanisch für „Hallo“) von Indien nach Frankreich. Ein kleines Wort mit großer Bedeutung, weil es von einem Gehirn zum anderen gesendet wurde.

An dieser Studie waren die drei Neurotechnologie-Unternehmen Starlab, Axilum Robotics und Neuroelectrics beteiligt. Neben kommerziellem Interesse, genauer gesagt der Weiterentwicklung der eingesetzten Elektroenzephalographie (EEG) und dem Roborterarm, stand auch das „Blue Sky Research“ – also die ergebnisoffene Forschung – im Fokus. Bei dieser Art der Wissenschaft, die im angelsächsischen Raum mehr gefördert wird als in der deutschsprachigen Region, werden viele unerwartete Fragen geklärt und daraus neue Ergebnisse gewonnen. „Es ist zudem das langfristige Ziel, die Art und Weise der Kommunikation zu verändern“, sagt Giulio Ruffini, Studien-Co-Autor der AFP.

Zwischen der Utopie des flächendeckenden Einsatzes von Telepathie und dem oben beschriebenen Projekt liegen natürlich Welten. Doch wenn man sich dieses Experiment genau vor Augen führt und dieses auf den Alltag umsetzt, bemerkt man bereits einen ersten Schritt in Richtung Praxistauglichkeit. Man denke an Querschnittsgelähmte und Menschen, die einen Hirnschlag erlitten haben. Für sie ist das vielleicht der nächste Weg bald schon ihre Gedanken, Gefühle und ihre Stimmung in ihrer eigenen Form der Welt mitzuteilen.

Text: Fulya Bozaci

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