• Urban Strategies

Future Cities

Skurrile und visionäre Stadtmodelle gab es in der Science-Fiction-Welt bereits viele. Auch heutzutage sprießen alternative Stadtkonzepte aus dem Boden. Der Erfolg der Städte könnte in Zukunft (auch) über unseren wirtschaftlichen Wohlstand entscheiden. 

Die Suche dauert nicht lange, um auf allerlei Fantastereien in Sachen Stadtentwicklung zu stoßen. Das betrifft sowohl das Filmgenre als auch die Literatur. Der bekannte französische Architekt Le Corbusier entwarf 1925 seinen „Plan Voisin“ für die gesamte Pariser Innenstadt, die ihm zu verwinkelt und mit zu schlechten Wohnbedingungen ausgestattet war. Die Wohnlandschaft war streng rasterartig aufgezogen, mit 60-stöckigen Hochhäusern; die hohe Bedeutung des individualisierten Verkehrs rundete das utopische Bild dementsprechend ab. Im Film „Logan’s Run“ aus dem Jahr 1976 wurden die städtischen Verhältnisse in den USA im 23. Jahrhundert prophezeit: Die Stadt befindet sich unter einer Glaskuppel, innerhalb der Wohn- und Vergnügungskomplexe wird ein sexuell freies, sorgloses Leben geführt, währenddessen die Bewohner aber ständig einer computergesteuerten Kontrolle unterliegen. An Verkehr und Infrastruktur verbindet die Stadt Traditionelles mit Hightech-Fortbewegungsmitteln: Kutschen, Space Shuttles, Tubes mit Schwebeshuttles und schwebende Segways.

Ein ganz besonderes Modell ist jenes von Mickey-Maus-Erfinder Walt Disney namens „EPCOT“. Der US-Amerikaner entwarf im Jahr 1966 eine kreisförmige Stadt, die für 20.000 Einwohner konzipiert war: Im Zentrum befanden sich die Geschäftszentren, in einem zweiten Kreis Schulen, Verwaltungsgebäude und Erholungsgebiete, den äußersten Kreis bildeten Wohnsiedlungen. Der individualisierte Autoverkehr wurde unter die Erdoberfläche verlagert, der Transport über Monorails (Einschienenbahn) und Peoplemover (für kurze Strecken gedachte Schienentransporte; Anm.) bewerkstelligt.

Überzeugt war Walt Disney von seiner Idee allemal, wie ein offizielles Statement unterstreicht. Eine Stadt mit Vorbildwirkung sollte es sein – verwirklicht wurde sie in dieser Form freilich nie.

Es wird eine Gesellschaft von morgen, die nie fertig sein wird, sondern ständig neue Technologien und Systeme ausprobiert. EPCOT wird ein Vorzeigeprojekt für die Welt sein, für die Erfindungsgabe und Vorstellungskraft der freien amerikanischen Wirtschaft.

(Walt Disney)

Auch heute ist in der Stadtplanung noch Platz für urbane Utopien. Nahe der chinesischen Megastadt Chengdu soll etwa eine eigene Ökostadt entstehen – mit niedrigem Energiebedarf und geringen CO2-Emissionen. In „Great City“ sollen 80.000 Einwohner auf 1,3  Quadratkilometer Platz finden und motorisierter Individualverkehr überflüssig werden, denn das Stadtzentrum soll von überall aus in zehn Minuten erreichbar sein. „Masdar City“ ist ebenfalls ein seit 2008 in Planung befindliches Ökostadt-Projekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Mitten in der Wüste, etwa 30 Kilometer von Abu Dhabi entfernt, sollen 50.000 Einwohner vollständig über erneuerbare Energien erhalten werden. Dazu: Abfallfreiheit, Transport lediglich mittels futuristischer, selbstfahrender Minicabs.

Diese Modelle sind sinnbildlich dafür, dass Städte weltweit vor tief greifenden Herausforderungen stehen. Wie gelingt es, den dichten Verkehr und damit einhergehend hohe Abgasbelastungen, Staus sowie Lärm in den Griff zu bekommen? Können alternative Antriebsstoffe für Fortbewegungsmittel eine Energiewende herbeiführen? Wie verändert sich in diesem Zusammenhang die Teilhabe an öffentlichen Entscheidungen – und damit der demokratische Charakter einer Stadt?

Für den Publizisten und Zukunftsforscher Eike Wenzel liegt eines der Geheimnisse in der datengestützten Vernetzung der Stadt. Der Gründer und Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung in Heidelberg beschäftigt sich seit Jahren mit diesen Themen. Nach seinen Angaben leben seit 2008 erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land – Tendenz steigend. Die Städte in den Schwellenländern würden zwischen 2000 und 2050 von zwei Milliarden auf 5,5 Milliarden Einwohner anwachsen. 95 Prozent des großstädtischen Bevölkerungswachstums werde in diesem Teil der Erde stattfinden, so Wenzel. Genug zu tun gibt es also – doch was konkret?

Forbes: Inwieweit war Walt Disneys „EPCOT“ lediglich eine Utopie?

Wenzel: Das ist eine Vision, die uns generell heute etwas fehlt. In den 1950er- und 60er-Jahren konnte man noch vieles an Visionen verkünden, da in der westlichen Welt eine futuristische Stimmung herrschte. Die Automobilität sowie die individualisierte Mobilität waren Hoffnungsträger einer neuen Wohlstandskultur. Die ist damals auch eingetreten. Heute arbeiten wir an einer Transformation dessen, doch das gelingt uns nicht so leicht. Das Konzept von Walt Disney basiert auf dem Prinzip, dass die Menschen in Eigenheimen wohnen, Auto fahren und einkaufen gehen.

Wurde das Konzept also tatsächlich umgesetzt?

Ja, wenn auch nur Elemente davon. Diese Vision war bis in die 1990er-Jahre stabil und ist nach wie vor ein amerikanisches Ideal. Es war ein Modell für die Massengesellschaft. Der Kern dieser Stadt war die bürgerliche Kleinfamilie, die zu Hause einen Kühlschrank und einen Fernseher hat. Massenmedien vermitteln die Werbebotschaften, man fährt von außerhalb mit dem Auto in die Innenstadt in die Einkaufszentren. Es fand also nur ein kurzer Aufenthalt statt, bevor man das Stadtzentrum wieder verlässt. Somit konnte man den 08/15-Massenkonsum für 80 Prozent der Bevölkerung wunderbar modellieren.

War EPCOT nachhaltig ausgestaltet? 

Die Stadt ist ein technoides Modell. In dieser Gesellschaft ist alles entmischt, das bedeutet, alles hat eine Funktion und hängt an einer Kette. Der eigentliche Kern ist das Auto, wenn auch im Untergrund. Der Entwurf von Walt Disney krankt aber an der fehlenden Ökologie. Das wäre nicht tragbar gewesen. Auch demokratietheoretisch wäre das aufgrund der Matrix der Konsumgesellschaft nicht empfehlenswert gewesen. Heute merken wir, dass wir die Entmischung nicht brauchen, sondern Möglichkeiten schaffen müssen, dass Menschen die Städte mitgestalten. Wenn wir etwa in die Stadt hineingehen: dass es dort viel Platz und Grünflächen gibt, sogenannte „walkable citys“ – gerade in den USA –, um dadurch den Einfluss der Automobilität zurückzuhalten. Die Megacitys in Mexiko oder Asien stellen fest, dass die individuelle Mobilität nicht mehr unbedingt nötig ist, da die ökologischen Folgekosten nicht tragbar sind.

Sie sagten, dass diese Vision bis in die 1990er-Jahre galt. Wie veränderte sich das Bewusstsein für die Städte?

Der amerikanische Stadtsoziologe Richard Florida („The Creative Class“) nahm in den 1990er-Jahren an, dass ein Kulturwandel in Richtung einer digitalen, modernen Gesellschaft stattfindet, wenn die kreative Klasse in den Stadtkern zieht. Das war die amerikanische Gegenutopie, dort leben junge Akademiker, die eine Familie haben – daraus entsteht Innovation. Das war aber ein fundamentaler Fehler, in den letzten Jahren hat das nicht funktioniert. Es war eine Vision der Besserverdiener, 80 Prozent der Bevölkerung kommen da gar nicht vor. Im Gegenteil, heute findet Gentrifizierung (Strukturwandel von Stadtvierteln im Sinne einer Aufwertung; Anm.) statt. In der Innenstadt, an den Hotspots, aber auch immer weiter außerhalb. Der Facharbeiter kann sich kein Eigentum im Zentrum mehr leisten. Man muss mehr in Richtung Teilhabe, Digitalisierung gehen.

Wollen die Menschen also auch aus der Stadt hinaus?

Ja, viele Menschen haben dieses Bedürfnis. Suburbane Zentren sind hochgradig interessant, wenn die Stadtentwicklung auf den Weg gebracht wird. Es gilt, die Infrastruktur entsprechend zu adaptieren. In Tokio gibt es zehn Kilometer außerhalb des Zentrums viele Anbindungen. In Zentral- und Nordeuropa plant man auch bereits die Mobilität ohne Auto.

Stichwort Mobilitätswende: Sind Städte global gesehen bereit dafür?

Wir sind auf dem Weg, wir müssen den Verbrennungsmotor hinter uns lassen. Das ist ökologisch nicht mehr machbar, in Stuttgart etwa ist die Feinstaubbelastung sehr hoch.

Sie setzen auf die „digitale Stadt“, um den Bürgern mehr Teilhabe zu ermöglichen. Städte könnten so einen Aufschwung erleben. Was verstehen Sie genau darunter?

Die heutigen Jungen wachsen mit dem iPhone auf. Wir müssen die Chance nutzen, um aus den alten Sprachregelungen herauszukommen. Wenn wir mehr Partizipation wollen, müssen wir unsere alten Sprachkonventionen ändern. Das heißt, sehr nahe an den Menschen und co-kreativ immer im Dialog zu sein. Das könnte über digitale Apps funktionieren, in den Städten der Zukunft ist das das wichtigste Element. Die Alternative wäre, was gerade in Polen stattfindet, nämlich eine populistische Revolution.

Inwieweit wird das schon berücksichtigt?

Die meisten Entwürfe von Smart Citys sind sehr technologisch. Das Internet of Things (IoT) funktioniert bereits, wir können viele Daten aufnehmen und messen. Wenn man aber einen Schritt weitergehen will, muss man mehr auf die kommunikative Ebene kommen. Städte hatten immer eine hohe Autonomie und eignen sich als gute Gefäße, indem man gleich reagieren kann.

Wie sollte man den Stadtkern nutzen?

Es gilt, der Entmischung entgegenzutreten sowie kreative Zonen und neue Unternehmen zu schaffen. Das hängt stark von zwei Trends ab: Wir müssen es den Menschen ermöglichen, auch aus suburbanen Zonen mit nachhaltigen Mobilitätskonzepten in die Stadt zu kommen. Die Städte müssen auch zu Fuß, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Rad erreichbar sein. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Über die Mobilitätswende wird in Deutschland stark gesprochen, wir stecken aber noch in der individualisierten Autogesellschaft.

Wie beurteilen Sie Ökostädte wie Great City oder Masdar – ein Modell für die Zukunft?

Es gibt viele Entwürfe von dieser Art von Städten. Autos fahren mittels Solarenergie, so wird der CO2-Ausstoß stark reduziert. Ich will nicht sagen, dass das alles nur Fantasien sind, die Nutzung über Solarenergie könnte auch in anderen Bereichen Energieträger ersetzen. Diese Konzepte sind spannend. In Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam hat man etwa den öffentlichen Personennahverkehr frühzeitig populär gemacht. Es wird vermittelt, dass dies gebraucht wird: „Ihr müsst nicht von der Zweiradmobilität auf jene mit Vierrad umstellen, sondern auch den öffentlichen Verkehr nutzen.“ Die Stadtplaner sagen bei Modellstädten wie Masdar aber selbst, dass sie etwas ausprobieren wollen, das muss auch passieren. Wir müssen uns in den nächsten Jahren darüber im Klaren sein, welchen historischen Wert die Idee der Stadt hat. Ich weise der Stadt eine hohe Vision zu – Städte und die aus ihr heraus entstehenden Impulse werden immer wichtiger. Die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird bereits in urbanen Zonen erwirtschaftet – der Anteil wird noch steigen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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