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„Digitale“ Visionen von Marx, Keynes und Schumpeter: Jenseits der Zukunft der Arbeit.
In jüngster Vergangenheit häufen sich Berichte über die verschiedenen Aspekte der „Zukunft der Arbeit.“ Gleichwohl scheinen dabei die Visionen über die digitale Gesellschaft und die Rolle der Arbeit in dieser nur recht schemenhaft erkennbar. Mehr noch: hinter dem Event Horizon, jenem Augenblick, an dem Maschinen autonom werden und der schon in den nächsten 20 Jahren eintreten kann, droht uns sowieso eine „unklare“ und „geheimnisvolle Zukunft“.
Doch es wirkt unwahrscheinlich, dass sich die wichtigsten Wirtschaftsdenker der Vergangenheit zu diesem Thema noch nie Gedanken gemacht haben? Gibt es denn von den Klassikern der politischen Ökonomie, wie Marx, Keynes und Schumpeter keinen Beitrag, der uns helfen kann, mögliche Szenarien zu erkennen? Doch, denn alle drei haben sich sehr intensiv mit der Zukunft auseinandergesetzt und diese Szenarien auch in Schriften festgehalten. Den technischen Fortschritt in der heutigen Dimension (AI, Blockchain, Plattformen etc…) konnten sie natürlich nicht antizipieren, trotzdem lohnt es sich, ihre Ansätze auch heute noch zu überprüfen. Insbesondere, wenn man diese Texte in den Kontext der heutigen technologischen Entwicklungen setzt – , so wie es etwa der austro-kanadische Roboterforscher Hans Moravec tut – gewinnen sie eine neue Brisanz.
Betrachtet man die die Zielsetzung hinter der Technologieentwicklung und vor allem der künstlichen Intelligenz und Robotik wird klar, dass diese immer dazu dienten, Menschen zu ersetzen. Der Grund hierfür war historisch gesehen die Sorgen vor dem potentiell widerständigen Individuum, das sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg begann, politisch zu organisieren. Dies führte längerfristig gesehen zu einer stetigen Erhöhung der Inputkosten (Löhne) – bis zu dem Punkt, an dem der Kapitalismus für den Kapitalisten uninteressant wurde, wie der Historiker Immanuel Wallerstein süffisant anmerkte.
Zwar existierte auch eine Denkschule, die Maschinen zu Unterstützern des Menschen erschaffen wollte (Intelligence Augmentation = IA), letztendlich setzte sich aber die Sichtweise der künstlichen Intelligenz durch (Artificial Intelligence = AI), die den Menschen substituieren soll. Dass es heute zahlreiche Anwendungen von IA gibt, liegt also vielmehr daran, dass die AI in ihrer Programmierung noch nicht weit genug ist. (Ein Beispiel: Der Chauffeur fährt so lange mit Navigationssystem, bis das Auto selbst fahren kann). Und überhaupt: Wenn Unternehmen menschliche Entscheidungen zu einem Preis ersetzen können, der bei einem Drittel des Lohns eines chinesischen Wanderarbeiters liegt, wird klar, wie die Zukunft aussehen wird. Dieser Zustand wurde interessanterweise von Karl Marx vorhergesehen. In einer kurzen Ausführung, auch das „Maschinenfragment“ genannt, räsonierte er 1870 darüber, dass der Wissensfortschritt der Gesellschaft – der General Intellect – irgendwann dazu führen wird, dass der Arbeitsaufwand für den Einzelnen zurückgeht. Das Kapital wird in der Maschine akkumuliert, die die Arbeit ausführt. Das System der Maschinen – man muss hier unwillkürlich an das Konzept von „Industrie 4.0“ denken – wird zum von Karl Marx in diesem Zusammenhang geprägten „Automaton“. Der Arbeiter verfügt in diesem Konstrukt über mehr Arbeitszeit und hat so das Potenzial, sich von der Arbeit zu emanzipieren. Marx sah die digitale Ökonomie mit ihren Technologien nicht im Detail voraus, erkannte aber, dass der zukünftige Kapitalismus, weniger kapitalistisch sein wird (z.B. Shared Economy, Open Educational Resources, Open Source Code, Peer-to-Peer-Produktion …).
Allerdings – und hier wird es wirklich prophetisch – erkannte Marx, dass der Kapitalismus diesen „Auszug“ der Arbeiter nicht ohne weiteres erlauben wird. Denn Mehrwert wird für Marx schließlich noch immer vom Menschen erzeugt. Und so kann man vielleicht die „Rückholaktionen“ von heutigen Unternehmen deuten, die den geflohenen „freien Produzenten“ (Peer) wieder in die Wertschöpfung der Hierarchie integrieren wollen. Über virtuelle Plattformen, Innovation Hubs und FabLabs (offene Hightech-Werkstatt, Anm.) werden die „entlaufenen“ Programmierer und Designer zurückgeholt und deren Arbeit monetarisiert, sofern sie zuvor unentgeltlich war (Open Source). Der Cognitive Surplus – jene gigantische Masse an Talenten und Motivationen – die der Bildungssektor damals zwar erzeugte, die die arbeitsteilige Hierarchie aber nicht nutzte , muss wieder verwertbar gemacht werden. Und so machen heute große IT-Unternehmen einen gewichtigen Teil ihres Umsatzes mit Beratungsleistungen zu Open Source-Produkten, die die Crowd unbezahlt entwickelt hat. Der traditionelle Sektor sorgt also dafür, dass sich „der Arbeiter“ nicht selbst konstituieren kann: Eine Fahrergenossenschaft bekommt auf dem Kapitalmarkt kein Geld, Uber als Aktiengesellschaft hingegen schon. Ein weiteres Phänomen in diesem Kontext ist, dass insgesamt nur wenige Arbeitsplätze durch die Automatisierung verloren gehen. Dies nährt die Hoffnung, dass es auch diesmal „nicht so schlimm wird“ und es zu einer Umverteilung von Jobs kommen wird; man also mit mehr Bildung die Sache in den Griff bekommen kann.
Interessanterweise sind einige dieser Wachstumsberufe, umgangssprachlich „Bullshit-Jobs“ genannt, die eigentlich nicht wertschöpfend sind (Unternehmensanwälte, Lobbyisten, Berater, Regulatoren etc.) und dennoch besser bezahlt werden, als Jobs, die von der Gesellschaft benötigt werden (Lehrer, Pfleger, etc.). Der Namensgeber dieser Berufsgruppe, der US-amerikanische Ethnologe David Graeber, konnte es sich nicht erklären, wie eine auf Effizienz ausgerichtete Wirtschaft hunderttausende derartiger Jobs schaffen konnte. Marx hätte wohl auch hier eine Antwort parat: Das System verdient trotzdem Geld mit diesen Jobs, obwohl deren Gebrauchswert für die Gesellschaft gering ist und den Inhabern durchaus klar ist, dass sie Dinge tun, die unbefriedigend sind. Bullshit-Jobs haben zudem auch einen stabilisierenden Effekt, da viele kluge Leute ihre Zeit nicht dazu verwenden, neuen, effektiven und befriedigenden Tätigkeiten nachzugehen, oder gar das System als solches zu verändern.
Man sollte also die die Beharrungskräfte des Kapitalismus und seinen Erfindungsreichtum nicht unterschätzen, wenn es darum geht, eigentlich artfremde Arbeit zu reintegrieren und zu monetarisieren. Doch warum existiert dieses Bestreben, den Arbeiter unbedingt in der Fabrik zu halten, wenn es dort nichts mehr zu tun gibt? Dies hat wohl auch mit Ängsten vor sozialen Verschiebungen zu tun, die entstehen, wenn Menschen die Möglichkeit haben, sich zu einem autonomen Individuum im Sinne des Humboldt’schen Ideals zu emanzipieren. Wenn – um im Sinne von Marx zu sprechen – also die Möglichkeit besteht, „heute dies und morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu betreiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Der heute geläufige Diskurs scheint solche Visionen nur schwer zu ertragen. Oder mit den Worten der früheren deutschen Arbeitsministerin Andrea Nahles: Würden wir denn nicht zwangsweise in die Situation kommen „dass keiner mehr schlechte oder niedrig bezahlte Arbeit machen möchte“? Dies soll nicht heißen, dass sich die großen Geister der Wirtschaftswissenschaft hierzu keine Gedanken machten. Maynard Keynes etwa erkannte wie kein anderer, dass es nicht das Ziel sein kann, den Menschen unbedingt in der Fabrik zu halten. So stellte er 1930 – ausgerechnet im krisengeschüttelten Madrid am Vorabend des Bürgerkrieges – seinen Aufsatz „Economic Possibilities for our Grandchildren“ vor. Und wenig überraschend wendete er sich bei der Beantwortung der Frage, welchen Aufgaben der Mensch sich in Zukunft widmen wird, Themen wie Freizeit, Erziehung, Ethik oder Kultur zu. Bereiche also, die nicht im Kern ökonomischer Diskurse liegen und dem spanischen Publikum der 1930er-Jahre seltsam erscheinen mussten. Er machte nebenbei auch auf einen interessanten Aspekt aufmerksam: Wenn die Zukunft weniger mit Arbeit im klassischen Sinne zu tun hat, dann sind Ökonomen vielleicht auch nicht die richtigen, um dieses Thema zu adressieren.
Es ist allerdings nicht so, dass keine Ideen zu einer technisierten Gesellschaft existieren würden. Die Vision von Hans Moravec, die dieser bereits im letzten Jahrtausend entwickelte, hat an Aktualität nicht verloren: Arbeit wird überwiegend in Roboterfabriken stattfinden, die auch von Robotern geleitet werden. Diese Idee liefert dann einen Ausweg aus dem Dilemma, welches Joseph Schumpeter bei seinen Überlegungen zur Wirtschaft und Demokratie in monopolitischen Ökonomien (er nannte diese „sozialistisch“) erkannte: Der Unternehmer bei Schumpeter „verarmt“ ab dem Zeitpunkt, an dem Bedürfnisse gedeckt sind und das Monopol seine Assets nicht mehr durch Innovationen zerstören will. Der „Roboboss“ wäre hier völlig anders, denn er benötigt kein Gehalt und befindet sich im gnadenlosen Wettbewerb mit anderen Fabriken. Sein Ziel ist nicht die Profitmaximierung, sondern das Überleben der eigenen Fabrik. Roboterfabriken zahlen Steuern in Communities, in denen sich Menschen zusammengefunden haben, die sehr ähnliche Leidenschaft und Interessen haben (sogenannte „Tribes“). Moravec nennt die Schweiz mit ihren autonomen Kantonen sowie die reichen Golfländer als Vorbilder: Dort würden schon heute asiatische Sklavenarbeiter als Robotersurrogat Leistungen erbringen, die es einer Bevölkerung ermöglichen, so zu leben, wie sie das will. Mit einem Grundeinkommen ausgestattet, würden die Mitglieder der Tribes an Dingen arbeiten, die sie interessieren, sich aber gleichzeitig mit Kultur, Politik, Religion und Freundschaften befassen.
Die spannende Frage scheint nun zu sein, wie solche Szenarien erreichbar werden: Wie kommen wir von den entstehenden globalen Plattformgiganten zu solchen Tribes? Offenbar führt dieser Weg auch über die Emanzipation der Maschinen vom Menschen (Singularity). Indem die Maschinen autonomer werden und kein Geld für ihre Leistungen verlangen, kann sich auch der Mensch emanzipieren – vorausgesetzt, es gelingt ihm zuvor diesen Maschinen eine ethische Programmierung mitzugeben. Muss dies so passieren? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Der erst kürzlich verstorbene Physiker Stephen Hawking zeigte sich zuletzt eher skeptisch, ob die Besitzer der Plattformunternehmen Reichtum umverteilen würden. Jedenfalls zeigt sich, dass auch die „alten Denker“ so einige Ideen hatten, wie die Zukunft der Arbeit und des Kapitalismus aussehen könnte. Und dabei oftmals gar nicht so falsch lagen. Es könnte sich also empfehlen, die nächsten Schritte der Digitalisierung vom Ende zu analysieren – und auch mal einen Blick „nach hinten“ zu riskieren.
Gastkommentar: Ayad Al-Ani
Ayad Al-Ani ist ein Professor für Change Management und Consulting. Momentan forscht er am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) auf dem Gebiet der internetbasierten Innovationen und ist Geschäftsführer der digitalen Beratungsagentur tebble. Zuvor war er unter anderem Professor an der ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin und der Hertie School of Governance in Berlin. Die Forschungsschwerpunkte des promovierten Handelswissenschafters und Politologen sind: Change Management, Digitale Ökonomie und Politik, Organisationtheorie und Strategisches Management.
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Anmerkung: Teile des Textes erschienen ursprünglich auf dem Blog „CreatingCorporateCultures“.