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Alles smart

In Smart Cities steht die Nutzung von Daten im Mittelpunkt. Der Bürger hat hier oftmals wenig Einblick. Wie lange noch?

Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright beschrieb in seinem Buch „The Disappearing City“ (1932) sein Konzept der „Broadrare City“. Wright stieß sich besonders an den damaligen großen Industriestädten – deren Grundrisse bezeichnete er als „Querschnitt durch einen fibrösen Tumor“. Diese stünden symbolhaft für die Ausbeutung der Natur durch die Menschen. Als Gegenstück entwarf er ein dezentrales System, das sich vom klassischen urbanen Lebensraum abheben sollte. Den Mittelpunkt bilden aneinandergrenzende Grundstücke auf dem Land mit 4.000 Quadratmetern, auf welchen sich Familien ihre Einfamilienhäuser bauen könnten. Der Tauschhandel ist die dominierende Wirtschaftsform; das Land wird von den Bewohnern selbst bewirtschaftet. Damit die Grundstücke dennoch gut erreichbar und die Bewohner möglichst mobil sind, hob Wright drei wesentliche Aspekte hervor, um eine Landschaft dieser Art Wirklichkeit werden zu lassen: ein verstärkter Autoverkehr, eine standardisierte maschinelle Produktion sowie die Nutzung hochentwickelter Informations- und Kommunikationstechnologien wie Radio, Telefon oder Telegraphen. „Broadrare City“ – die Idee stammt aus 1932, drei Jahre später entwarf Wright auch ein zehn Quadratkilometer großes Modell – erfreute sich keiner großen Beliebtheit in den Vereinigten Staaten und wurde nicht umgesetzt. Dennoch kann man sie gewissermaßen als Vorbild der heutigen Smart Cities sehen. Die Technologie bildet gewissermaßen das Rückgrat dieser Art von Stadtentwicklung: Daten geben über Sensoren und Devices Auskunft über das Verhalten der Menschen – und das in den verschiedensten Bereichen: Infrastruktur, Mobilität, Energieversorgung, Wohnen, Gesundheit. Dadurch sollen Ressourcen effizienter und schonender eingesetzt werden können.

Barcelona gilt seit Implementierung seiner Smart City-Strategie 2008/ 2009 als Vorzeigebeispiel. In entsprechenden Rankings ist die katalanische Stadt immer ganz weit vorne zu finden. Einige Eckdaten: ein kommunales Netz von 500 Kilometern Glasfaserkabeln, implementierte Sensoren zur Überwachung der Luftqualität, von (freien) Parkplätzen und Müllcontainern. Möglich macht dies das Internet of Things (IoT). Allesamt (technologische) Aspekte, welche Francesca Bria, Barcelonas Technology & Digital Innovation Commissioner, zwar hilfreich findet, aber dennoch grundlegend überdenken will. Ihr Ziel: die Bürger in den Mittelpunkt der Smart City zu rücken, um ihnen vermehrte Partizipation zu ermöglichen. Bria ist Senior Researcher und Beraterin für Informations- und Technologiepolitik. Sie lehrte an mehreren Universitäten in Großbritannien und Italien und beriet Regierungen sowie Organisationen zu diesen Themen. Wir trafen Francesca Bria am Rande des WebSummit in Lissabon.

Wodurch zeichnet sich die Smart City Barcelona aus?
Barcelona hat viele Dinge ausprobiert, um eine Art „Labor“ für eine größere soziale Innovation zu werden. Vor der aktuellen Regierung war die Smart City-Agenda jedoch hauptsächlich technologiegetrieben. Auf der einen Seite bedeutete dies die Erhöhung der Konnektivität, der Sensoren-Netzwerke und dem Aufkommen von Big Data. Erst danach kam die Frage: Was machen wir mit all diesen Daten, die zusammengetragen werden, was mit den verschiedenen Sensoren-Netzwerken? Ich denke, es gibt hierbei zwei Probleme: Denn anstatt die wirklichen Probleme in der Stadt zu lösen – etwa die Reduzierung der CO2-Emissionen sowie leistbares Wohnen zur Verfügung zu stellen –  endet es damit, lediglich technologische Aspekte zu bedienen. Beziehungsweise treten hierbei auch technologischen Probleme zu Tage, die hauptsächlich die Interoperabilität betreffen (Fähigkeit zur Zusammenarbeit von verschiedenen Systemen, Techniken, Anm.).

Von wem wird dieser technologische Ansatz vorangetrieben?
Von den großen Techunternehmen. Sie verfolgen ein Business-Modell, das vertikal aufgebaut ist. Also vertikale Lösungsansätze, die den Bürger außen vor lassen und zudem (digitale) Protokolle einsetzen, die nicht miteinander kommunizieren. Für eine Stadt ist das sehr problematisch. In Barcelona ist es auch zu Problemen gekommen. Etwa als ein Sensoren-Netzwerk in den Gehsteig eingesetzt wurde um smartes Parken zu ermöglichen, dieses aber nicht mit den Energiesensoren oder den Lichtmasten kommunizierte. Daraus ergeben sich Probleme bei der Interoperabilität. Weiters verkaufen Technologieunternehmen Dashboards (eine Technik, mit welcher Informationen übersichtlich dargestellt werden können, Anm.) an Städte – wir nennen das eine „black box“. Diese Unternehmen verkaufen dies einfach als ganze Pakete, wie etwa IBM wie Rio de Janeiro oder Cisco oder Siemens: „Da habt ihr das Dashboard und los geht’s!“. So funktioniert dies aber nicht. Die Datenströme sind hierbei nicht vernetzt, es gibt keine „shared database“. Bei einer technologischen Transformation geht es nie nur um die Technologie an sich.

Was gilt es also besser zu machen?
In Barcelona begannen wir damit, die Herausforderungen in der Stadt zu analysieren – wie die Reduzierung der CO2-Emissionen im Rahmen des Klimawandels, nachhaltige Mobilität und leistbares Wohnen. Erst in einem nächsten Schritt fragten wir, welche Technologien wir brauchen, um diese Probleme zu lösen. Manchmal benötigen wir gar keine technologischen Lösungen, sondern eine „Low-Tech“-Implementierung (einfache Funktion, einfache Herstellung, einfache Bedienung von Technik, Anm.). Sehr wichtig ist auch die „Governance“ der Technologie, wo Daten zu einer Art öffentlichen Infrastruktur werden. Wir denken Daten in Clustern wie Energie, Elektrizität und Gas, Transport. Daten sollen den Bürgern Barcelonas gehören – in gewissen Bereichen können sie diese auch teilen, das nennen wir „data commons“; sie sollen eine öffentliche Ressource sein. Wir nehmen auch die privaten Nutzungsbedingungen sehr ernst, wir müssen die Daten der Bürger schützen.

Aber wenn die Regierung alltägliche Lebensbereiche grundlegend ändern soll, werden auch Regierungsbehörden Daten benötigen?
90 Prozent der Daten, die wir heute produzieren, existierten vor drei Jahren noch gar nicht. Dabei geht es nicht nur um Open Government Data – also jene Daten, die die Regierung besitzt oder durch die Nutzung der städtischen Infrastruktur erzeugt werden – oder jene der privaten Technologieunternehmen. Sehr viele Daten werden von Bürgern generiert, etwa durch die Nutzung des Mobiltelefons, der Kreditkarte oder bei Google oder Facebook. Diese personalisierten Daten sind die kostbarsten. Als erstes ist es somit wichtig zu erkennen, dass diese Daten den Bürgern gehören. Gleichzeitig wollen wir bei den Bürgern das Bewusstsein schaffen, was mit Daten bereits alles möglich ist. Dafür, dass der Bürger diese aber überhaupt schützen kann, bauen wir entsprechende Instrumente auf. Dabei geht es etwa um höchstpersönliche medizinische Daten, die man nicht teilen will.

Daneben gibt es aber sehr wohl auch Daten, die Bürger teilen wollen: mit Unternehmen oder mit Universitäten – etwa „medical records“ um die Krebsforschung voranzutreiben. Oder mit der Stadt, damit diese effizientere Prozesse einleiten kann, zum Beispiel beim Abfallmanagement. Aber die Kontrolle der Daten – das „data entitlement“ – muss bei den Bürgern liegen. Und nicht bei den Regierungen oder Unternehmen.

Wie können diese Daten genutzt werden, um ein effizienteres Energie- oder Abfallmanagement auf die Beine zu stellen?
Es gilt, das Verhalten beispielsweise beim Energieverbrauch in Haushalten zu analysieren um es dann verändern zu können. Dabei muss man aber wissen, wie der Verbrauch funktioniert. Die Bürger müssen wissen, wie die Daten-Algorithmen ablaufen und Daten generiert werden. In Barcelona finanzieren wir derzeit ein Projekt, das mit Verteilungsnetzwerken operiert: Mittels der Blockchain-Technologie werden Energie-Transaktionen Peer-to-Peer („Verbindung unter Gleichen“ – beispielsweise in einem Rechnersystem, Anm.) unter Nachbarn ermöglicht. Es kann einfach keine demokratische Revolution ohne einer digitalen geben.

War also die Einbindung von Microsoft-Technologien (diese verfolgen eine Smart City-Strategie in Barcelona, Anm.) ein Fehler?
Nein, ich bin mir hier sicher. Viele Städte arbeiten in dieselbe Richtung. Wir haben es einfach besser kodifiziert: nämlich eine „Open Digital Transformation Strategy“ zusammengestellt wo wir die Regeln kodifizieren wie die digitale Transformation von statten geht. Das bedeutet etwa, dass wir in den Verträgen mit den großen Technologieanbietern den Schutz der Privatsphäre der Bürger festschreiben. Wir öffnen diese Prozesse (wo Unternehmen ihre Technologien anbieten können, Anm.) auch für KMU, denn diese machen 90 Prozent der Unternehmen in Europa aus. Sie sorgen für viele neue Technologien und Innovationen im städtischen Bereich. KMU sollen die gleichen Chancen haben wie die großen Tech-Unternehmen. Gleichzeitig arbeiten wir derzeit auch an einem großen Projekt indem wir einen digitalen Marktplatz kreieren. Bürger sollen wissen, was die Stadt einkauft, welche Unternehmen hierbei involviert sind.

Gleichzeitig haben viele Bürger Sorgen, wenn es um die vermehrte Nutzung ihrer Daten geht. Können Sie das nachvollziehen?
Es ist das Herz unserer digitalen Strategie, ein vermehrtes Bewusstsein für diese Thematik zu schaffen. Wir experimentieren mit Blockchain und dem Verschlüsseln von Daten. Wir schreiben die Datensouveränität in Verträgen fest – wir setzen neue demokratische Standards im Zusammenhang mit Daten.  

Was bringt die Smart City-Strategie bisher an wirtschaftlichen Einsparungen?
Wir haben ein Budget von rund 72 Millionen €, das wir in die digitale Transformation stecken. Das betrifft aber nur den digitalen Bereich. Wir haben nicht die Kosten berechnet, die durch die Implementierung von Open Source (Software, bei der der Quelltext öffentlich und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden kann, Anm.) entstehen. Vor Barcelona habe ich in Großbritannien gearbeitet (Bria war Senior Program Lead bei Nesta, der britischen Innovationsagentur. Dort leitete sie das EU D-CENT-Projekt, das größte europäische Projekt für direkte Demokratie und digitale Währungen, Anm.) Das Government Digital Service hat dort beispielsweise aufgezeigt, dass sie Milliarden eingespart haben durch die Implementierung von digitalen Technologien.

Wo sehen Sie die Städte in 2030?
Ich denke, einer der großen Zukunftsfragen ist die digitale Souveränität. Nicht nur „smart“ zu sein, sondern auch zu verstehen, dass der Weg – den technologischen Wandel herbeizuführen – über die vermehrte Kontrolle der Daten durch die Bürger funktioniert. Wir dürfen die Technologie nicht nur dazu nutzen, einfach Produkte und Gadgets zu kreieren, um die großen Herausforderungen von Städten zu lösen. Das Ziel ist ein grünerer Wirtschaftskreislauf, der weitaus nachhaltiger ist.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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