• Mobility

Selbst unterwegs

Fast gleichzeitig mit der allgemeinen Nutzung von Autos begann der Traum vom autonomen Gefährt, dem man das Lenken selbst überlassen kann. Wird dieser Traum bald Realität?

Bereits bei der Weltausstellung 1939 in New York wurde von General Motors für die automobile Zukunft der 1960er-Jahre prognostiziert, dass Autos sich auf Autobahnen ferngesteuert fortbewegen werden, um damit den Verkehrsfluss, die Sicherheit und den Komfort zu erhöhen. Seitdem sind selbstfahrende Auto so gut wie fixer Bestandteil jedes futuristischen Zukunftsbildes. Die Varianz reicht dabei von relativ unspektakulären, fixen Routen folgenden Safari-Jeeps im Film „Jurassic Park“ bis hin zu fliegenden Autos wie etwa in dem Science-Fiction-Klassiker „Das fünfte Element“ oder sogar empfindungsfähige Gefährte(n) wie der legendäre K.I.T.T. aus der TV-Serie „Knight Rider“ . In all diesen Visionen will der Mensch aber die Kontrolle nicht ganz aufgeben – denn in so gut wie allen filmischen Szenen übernimmt der Held die Steuerung auch einmal selbst, besonders dann, wenn es kritisch wird.

Auch wenn die Entwicklungen derzeit rasend schnell voranzuschreiten scheinen, ist in der Realität mit vollautonomen Fahrzeugen, die jede Situation selbst meistern und ganz alleine unterwegs sein können, nicht allzu bald zu rechnen. Von den fünf Stufen der Automatisierung, die von der SAE International für den Fahrzeugverkehr definiert wurden, sind erst teilautomatisierte Fahrzeuge des Level 2 umgesetzt und auf dem Markt verfügbar. Eigenständig können diese Fahrzeuge nur in bestimmten Situationen agieren, wobei der Fahrer ständig die volle Aufmerksamkeit der Fahrsituation zuwenden muss, um im Bedarfsfall jederzeit wieder die Kontrolle zu übernehmen. Selbst automatisierte Kleinbusse, die derzeit in vielen Städten getestet werden ( zum Beispiel in Wien) und weder über ein Lenkrad noch einen Platz für einen „Fahrer“ verfügen, können sich noch nicht völlig autonom bewegen. Vielmehr folgen sie wie auf „virtuellen Schienen“ einer vorprogrammierten Route – rechtlich ist außerdem nach wie vor die Anwesenheit eines menschlichen „Operators“ erforderlich, der jederzeit bereit sein muss, einzugreifen.

Nicht nur die technische Realisierung wird daher noch einige Zeit in Anspruch nehmen, auch zahlreiche weitere Aspekte im Zusammenhang mit dem Einsatz selbstfahrender Fahrzeuge im Verkehrsalltag sind noch weitgehend ungeklärt. Dazu gehören mehrere Dinge: So die Haftungsfrage – wer trägt im Falle eines Unfalls die Verantwortung? – oder künftige Qualifikationserfordernisse – wie werden sich Berufsbilder verändern und welche Maßnahmen müssen dafür im Bildungssektor getroffen werden? Ebenso die generelle Frage, wie wir uns unsere Mobilität in der Zukunft vorstellen und welche Rolle automatisierte Fahrzeuge darin einnehmen. Sollen heute konventionelle Fahrzeuge einfach sukzessive durch elektrisch betriebene, selbstfahrende Autos ersetzt werden, die ihre Besitzer von Tür zu Tür bringen und sich dann selbst einen Parkplatz suchen? Sollen autonome Fahrzeuge als Sharing-Modell von allen genutzt werden? Oder sollen sie vor allem dort eingesetzt werden, wo es keine alternativen Mobilitätsangebote für bestimmte Personengruppen oder Situationen gibt (beispielsweise in ländlichen Gebieten mit Öffentlichem-Verkehr-Unterversorgung, für Mobilitätseingeschränkte wie ältere Menschen oder für die „last mile“ als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr).

In unserer komplexen Welt kann die Umsetzung dieser völlig neuen Möglichkeit, unterwegs zu sein, zu dramatischen Veränderungen führen und muss daher wohl überlegt werden, um frühzeitig mögliche Fehlentwicklungen hintanzuhalten. Automatisierte Fahrzeuge haben ein hohes Potenzial, rasch eine hohe Akzeptanz und Nutzungshäufigkeit zu erzielen. „Robotaxis“ versprechen maximalen Komfort (Tür-zu-Tür Transport, diverse Möglichkeiten, die Zeit auf der Fahrt zu nutzen) und eröffnen individuelle Transportmöglichkeiten für Personengruppen, denen dies bislang verwehrt geblieben ist (beispielsweise Personen ohne Fahrberechtigung). Verkehrsangebote, die besonders einfach und bequem zu nutzen sind, werden auch besonders gerne genutzt. Kürzlich veröffentlichte Studien zeigen zum Beispiel, das Fahrdienste wie Uber viele Menschen zum Umsteigen bewegen – leider allerdings kaum vom eigenen Auto (nur etwa 20 Prozent), sondern vor allem vom Öffentlichen Verkehr, vom Fahrrad und von Fußwegen. Damit zeigt sich auch schon eine zu erwartende Konsequenz, wenn autonome Fahrzeuge ohne gezielte Planung verfügbar gemacht werden – der Verkehr nimmt laut Studien um bis zu 90 Prozent zu. In so einem Szenario gibt es zwar kaum noch Parkplätze und weniger Fahrzeuge, diese sind aber ständig unterwegs und ehemalige Parkstreifen müssen als Fahrstreifen genutzt werden. Staus sind dabei auch in einem hoch-vernetzten System nicht vermeidbar.

Neben solchen unmittelbaren Wirkungen im Verkehr werden zunehmend auch soziale Folgen eines solchermaßen veränderten Mobilitätssystems diskutiert. Wird die Reisezeit als angenehm empfunden, kann das dazu führen, dass Menschen immer weiter entfernte Ziele aufsuchen, was heutige Zersiedelungstendenzen weiter verstärken sowie ein Vielfaches an Energie und Fläche verbrauchen würde und aktuellen Klimazielen entgegenwirkt. Die Möglichkeit, unterwegs auch zu arbeiten, könnte den Druck auf die Arbeitnehmer erhöhen und zu Überbelastungen führen. Und nicht zuletzt würden solche Mobilitätsstile auch zu immer mehr Bewegungsarmut und verringerten direkten sozialen Kontakten führen, was bereits bestehende Trends bei Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen unterstützen würde. Im Animationsfilm Wall-E sehen wir eine erschreckend plausible Entwicklung in so eine Richtung: kugelförmige Menschen, die kaum noch gehen können, nur noch in mit Unterhaltungstechnik ausgestatteten fliegenden Polstersitzen unterwegs sind und ihre Mitmenschen so gut wie gar nicht mehr wahrnehmen.

Zum Glück stellt dieses Szenario aber ein Extrembeispiel dar, dem viele andere mögliche Entwicklungen gegenüberstehen, in denen ein nachhaltiges Verkehrssystem mit sich ergänzenden Mobilitätsoptionen angestrebt wird. In diesen Visionen werden automatisierte Fahrdienste gezielt eingesetzt, um Lücken im Versorgungsnetz zu schließen, während durch gezielte Raumentwicklung viele Aktivitäten in der Nähe erledigt oder persönliche Wege durch Kommunikationstechnologien oder Lieferoptimierungen ersetzt werden können. Automatisierte Fahrzeuge sollen hier auch nicht nur als Autos gedacht werden – sondern zum Beispiel auch als begleitende Helfer für Fußgänger, um Transporte zu erleichtern und das Zu-Fuß-Gehen zu unterstützen, oder als Tür-zu-Tür Gepäcktransporte, die die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs erleichtern, wenn man sich nicht um das Gepäck kümmern muss.

Ob wir eine solche Zukunft erreichen, liegt vor allem an uns selbst – und ob wir dazu bereit sind, nicht nur bequeme Lösungen zu wählen, sondern auch die Vorteile aktiver und nachhaltiger Verkehrsarten zu nutzen. Zu Fuß gehen und Radfahren ist beispielsweise im urbanen Raum oft nicht nur der schnellere Weg, sondern tut auch der Gesundheit gut, und öffentliche Verkehrsmittel bieten schon heute das, was autonome Fahrzeuge für die Zukunft versprechen: die Nutzung der Reisezeit für andere Aktivitäten. Aktuelle Entwicklungen in Richtung „Mobility as a Service (MaaS)“ sollen in Zukunft die Kombination verschiedener Mobilitätsoptionen noch einfacher machen und zu einem ausgewogenen Zusammenspiel der verschiedenen Verkehrsträger beitragen, wobei es nicht darum geht, völlig auf das Autofahren zu verzichten, sondern jedes Verkehrsmittel bewusst und entsprechend der aktuellen Anforderungen zu wählen.

Zur Person:

Alexandra Millonig erforscht seit mehr als zehn Jahren am Center for Mobility Systems des AIT Austrian Institute of Technology Mobilitätsverhaltensaspekte, insbesondere Potenziale und Grenzen von Maßnahmen zur Verhaltensänderung. Mit dem Thema Automatisierung im Verkehr setzt sie sich derzeit in mehreren Projekten auseinander, zum Beispiel auto.Bus – Seestadt , TransportBuddy oder Mobilität 2040. Millonig wird auch international auf diesem Gebiet als Expertin beigezogen, etwa im Rahmen der Europäischen Union (EU) oder bei der OECD.

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